JoJo Und Ich
mir nicht sonderlich interessierte, ignorierte er sie einfach. An solchen Tagen brauchte ich auch gar nicht erst zu versuchen, ihm meine Gesellschaft zu entziehen, da sich diese Maßnahme als völlig wirkungslos erweisen würde. Mit der Zeit aber verstand ich seine »Gedankengänge« besser und stieß auf ein paar Dinge, mit denen ich ihn einigermaßen verlässlich ablenken konnte – doch auch das funktionierte nur, wenn er in der entsprechenden Stimmung war.
»JoJo, wegen dir werde ich noch meinen Job verlieren«, beklagte ich mich, wenn er den Unterricht wieder einmal empfindlich gestört hatte. »Kannst du mich nicht einmal in Frieden unterrichten lassen?«
Immer wenn ich an die Grenzen meiner Geduld stieß, erinnerte ich mich an die gelassene Ruhe, mit der meine Mutter das Gezänk zwischen meinen vier Geschwistern und mir immer geschlichtet hatte. Ich hatte zwar immer den Eindruck, zum Sündenbock für jede zerbrochene Vase, jedes verschüttetes Glas Limonade und jeden Streit gemacht zu werden; trotzdem, wenn ich den Finger sah, mit dem mir Mama bedeutete, einen Gang runterzuschalten, wurde ich gleich viel ruhiger. Sobald ich dann über den mit weißem Teppich ausgelegten Flur zu meinem Zimmer ging, war der Streit bereits verblasst. Und völlig vergessen, wenn ich die Tür hinter mir geschlossen hatte. Dann war ich glücklich allein und konnte auch wieder klar denken.
Der weiße Sand von Grace Bay hatte eine ganz ähnliche Wirkung auf mich und vergrößerte auch mein Verständnis für JoJo. Er mochte noch so viel dummes Zeug anstellen, es würde mir nicht im Traum einfallen, ihn von dort wegzuschicken, wo er zu Hause war. Aber ich konnte versuchen, ihn vom Tauchtraining wegzulocken, ich konnte ihm etwas noch Interessanteres anbieten, was ihn für eine Weile von mir und den Schülern ablenken würde – vorausgesetzt, er war dazu aufgelegt. Zwei Dinge waren dabei von recht überzeugender Wirkung: schöne gemeinsame Schwimmausflüge oder irgendein interessanter Gegenstand, der seine Neugier weckte.
Eine Version, die viel Spaß machte, bestand darin, mit JoJo auf die andere Seite des Anlegers zu schwimmen, wo die Segler waren. Die Leute genossen es sichtlich, ihn beim Spiel mit den Segelbooten und Windsurfern zu beobachten. Die frohen Gesichter all derer, die uns beim Planschen und Tauchen zusahen, machten mir immer großen Spaß. Diese Möglichkeit wählte ich am liebsten, da ich am Nachmittag oft frei hatte und mich JoJo widmen konnte. In dieser Zeit konnte ich auch neue Spiele für ihn erfinden, und wir tummelten uns stundenlang in den tropischen Gewässern.
Wenn ich selbst nicht weg konnte, gab es noch die Möglich keit, JoJo auf die Suche nach Haien zu schicken. Das hatte drau ßen am Riff, wo gelegentlich welche gesichtet wurden, auch durchaus seinen Sinn, hier im Seichten aber war die Chance, dass er Haie finden würde, sehr gering – hoffte ich jedenfalls. Wenn ich also während des Unterrichts den Arm hob, kam es durchaus vor, dass sich JoJo eine Weile nach Haien umsah, bevor er dann mit irgendeinem anderen Spielzeug zurückkehrte. Einer Schildkröte etwa oder einer rosaroten Unterhose.
Einmal wusste ich mir wieder einmal keinen anderen Rat, als JoJo auf Haifischsuche zu schicken, worauf er auch sofort einging – die Schüler, die anderen Lehrer und mich ließ er in seligem Frieden zurück.
Reingefallen!, dachte ich voller Genugtuung.
Was für ein entspannter Nachmittag. Tauchunterricht zu erteilen war viel einfacher, wenn man nicht auch noch einen Sack Flöhe hüten musste!
Natürlich war es viel zu schön, um wahr zu sein. Ich hatte ihn mit einem wirklich schwachen Blatt geblufft und nicht damit gerechnet, dass er einen Royal Flush auf der Flosse hatte.
Der Unterricht war fast abgeschlossen, als ich ihn von Weitem kommen hörte. Ich sah ihn noch nicht, aber an seinen Lauten erkannte ich, dass er irgendetwas bei sich hatte. Vielleicht versuchte er einen Stein in unsere Richtung zu rollen oder kam mit einer Schildkröte an. Den Tauchschülern gab ich ein Zeichen, sich hinzuhocken und abzuwarten. Ich deutete auf meine Ohren; sie sollten auf die Delfinlaute achten.
Wir saßen also still da, bis JoJo in Sicht kam. Er war es wirklich, aber er hatte keine Schildkröte und auch keine Unterhose aufgetrieben. Vielmehr apportierte er genau das, was ich ihm aufgetragen hatte: einen an die zweieinhalb Meter langen Ammenhai. Er hielt direkt auf mich und meine sechs Schüler zu, die gerade einmal ihre
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