Joli Rouge (German Edition)
du dich etwa nicht, mein Freund?«
Er schwieg. All die Jahre hatte er geahnt, dass Jacquotte
mit ihrer ungehörigen Idee von einem freien Leben scheitern
würde. Dass er nun in die Pläne für ihren Tod hineingezogen
wurde, missfiel ihm.
»Was ist los?«, murrte der Baske. »Bist du bereits derart
überdrüssig, dass du Intrigen abgeschworen hast?«
»Ich kann es nicht gutheißen, dass du Brüder opferst, um
die rote Jacquotte auszuschalten. Das hat nichts mehr mit
der Bruderschaft zu tun, der ich einst beigetreten bin!«
»Sieh an, Jérômes Herz ist weich geworden.« Michel Le
Basque entblößte seine Schneidezähne und grinste unheilvoll.
»Sei nicht besorgt, alter Freund, sie wird die Einzige sein,
die in den Tiefen des Meeres ihr seliges Grab findet.
Tête-de-Mort steht in meiner Pflicht. Du weißt es und ich
weiß es. Geh und überzeuge ihn davon, dass er mir Tribut
zollt. Es soll euer beider Schaden nicht sein. Die
Fortune
Noire
ist verbraucht. Wen kümmert es, wenn sie in tausend
Stücke gesprengt wird? Der Totenkopf und seine Mannschaft
werden ein neues Schiff erhalten. Das gelobe ich, so wahr
ich der Anführer der Bruderschaft bin!«
»Warum betraust du mich mit dieser Aufgabe?«
»Nach allem, was passiert ist, wird er dir mehr vertrauen
als mir. Der alten Zeiten wegen wird er dir zuhören, und
wenn er erkennt, dass du nach wie vor hinter mir und dem
Kodex stehst, wird er auf meinen Vorschlag eingehen und
verstehen, dass es nur eine ehrbare Möglichkeit für ihn
gibt. Bring ihn dazu, hörst du?«
Jérôme starrte zu Boden. Sein Leben lang war er ein
pflichtbewusster Flibustier gewesen. Er hatte im Namen der
Küstenbrüder geraubt und getötet. Doch es war nicht mehr
seine Welt, von der der Baske sprach. Trotzig schob er das
Kinn vor.
»Wenn dir deine Familie lieb ist, dann tust du, was ich
dir sage!« Es war, als ahnte der Baske seinen
unausgesprochenen Widerstand.
Jérôme zuckte zurück, als sei er geschlagen worden. Michel
Le Basque, den er stets als Freund und nicht als Anführer
angesehen hatte, drohte ihm offen. Die Demütigung machte ihn
rasend. Er wollte nach seinem Messer greifen, bis ihm
einfiel, dass er unbewaffnet in die Stadt gekommen war.
Zornig ballte er die Hände zu Fäusten und spürte mit einem
Mal das Pferdchen, das er immer noch hielt. Er sammelte
sich. Seine Söhne, Cajaya, Manuel. Der Gedanke, dass ihnen
etwas zustoßen könnte, setzte ihm zu. Er atmete aus und
sammelte sich.
»Wenn das dein Wille ist«, murmelte er und erstickte
beinahe an den eigenen Worten. Der Baske nickte wohlwollend.
»Aye! Allein dieser Wille hält uns zusammen. Wir können
nicht dulden, dass die Engländer zusehends an Macht
innerhalb der Inseln gewinnen. Wir sind die Bruderschaft.
Das ist unsere Welt. Nun geh! Ich erwarte Nachricht, sobald
du mit Tête-de-Mort in Kontakt getreten bist.« Michel Le
Basque drehte sich um und ließ Jérôme in der Seitengasse
zurück, in der er ihm begegnet war.
Sachte kratzte sich Jérôme die schuppige Haut unterhalb
seines Barts, bevor er mit gewaltigen Schritten davon
stapfte. An diesem Morgen war er gutgelaunt in die Stadt
gekommen, doch nun spürte er die unregelmäßigen Schläge
seines Herzens und fragte sich, ob sie von der Anstrengung
herrührten oder dem Gespräch mit Michel Le Basque. Seine
Lungen hoben und senkten sich in der warmen Luft und er
glaubte, den Weg nach Hause nicht mehr zu schaffen. Ärger
und Sorge vermischten sich und erschwerten ihm das Atmen.
Seine Gedanken kreisten. Nie hätte er geglaubt, dass ihn die
Vergangenheit mit einem Schlag wieder einholte, und dass es
dabei ausgerechnet um die Gebrüder Lormel gehen würde. Er
seufzte. Es waren tragische Figuren. Als Halbwüchsige trafen
sie in der Neuen Welt ein, und wären sie nicht auf den
Basken getroffen, hätten sie sich vermutlich als Knechte
verdingen müssen. Was das bedeutete, wusste Jérôme nur zu
gut. Nicht wenige Herren misshandelten ihre Untergebenen
derart, dass diese den erlösenden Freitod als einzigen
Ausweg aus ihrer misslichen Lage wählten. Doch Nicolas und
Philippe Lormel wurden zu Brüdern der Küste. Ihr Mut war
sagenhaft. Sie kämpften ungestüm, wenn es darum ging, sich
trotz ihrer damals geringen Größe gegen kräftigere Gegner zu
behaupten. Dennoch hätten sie verschiedener nicht sein
können. Während Nicolas ein schweigsamer und zäher Knabe
war, der sich außer gegen Feinde vor allem gegen ein
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