Joli Rouge (German Edition)
Ohr. Sie zögerte. Ein Teil von ihr wollte sich
umdrehen und ihm all das sagen, was sie vor langer Zeit um
ihrer selbst willen gelernt hatte zu unterdrücken, aber der
andere Teil zwang sie vorwärts. Jacquotte atmete durch, hob
ihren Kopf und ging weiter.
Als sie einige Tage später die Cayamanes Inseln hinter
sich ließen, kündeten die dunklen Wolken am Horizont bereits
von den bevorstehenden Stürmen, die sich über der Île de la
Tortue zusammenbrauten.
»Jérôme, mein alter Freund!« Michel Le Basque schlug dem
Vorbeieilenden auf die Schulter. »Wie geht es Frau und
Kindern?«
Jérôme nickte erfreut und blieb stehen. »Vortrefflich. Ich
habe meinem Jüngsten gerade ein Pferdchen gekauft. Er wird
vor Begeisterung jauchzen.« Er hielt dem Basken eine aus
Elfenbein geschnitzte, handtellergroße Figur hin, deren
Mähne derart filigran gearbeitet war, dass man glaubte, der
Wind würde durch sie hindurch fahren. Michel Le Basque
rümpfte die Nase.
»Dein Ruhestand bekommt dir«, rief er aus und klopfte
Jérôme kameradschaftlich auf den voluminösen Bauch. Dieser
bemühte sich zu lachen. Längst hatte er den vertraulichen
Tonfall des Basken bemerkt und war vorsichtig.
»Du erinnerst dich an die Gebrüder Lormel?«, fragte Michel
Le Basque prompt.
Jérôme sah ihn aufmerksam an. Der Anführer kam schnell zur
Sache. Misstrauisch erwiderte er: »Aye! Wie könnte ich deine
besten Kämpfer vergessen?«
»Schließt deine Erinnerung den Überfall bei den
Perlenfischern mit ein?«
»Aye«, sagte er kurz angebunden, während der Baske ihn
fixierte.
»Gut, denn ich bedarf deiner Unterstützung.«
Jérôme neigte den Kopf. »Meine Tage als Flibustier sind
vorüber.«
»Das sehe ich wohl«, klagte sein Gegenüber. »Dennoch
wüsste ich es zu schätzen, wenn du unsere Freundschaft über
deine Trägheit stellst.«
Jérôme verschränkte die Arme vor der Brust. »Was sind
deine Pläne?«
Michel Le Basque lächelte verschlagen. »Mir liegt daran,
mein Ansehen zu stärken. Die Brüder beginnen, sich zu
verselbstständigen. Der Kodex muss wieder in ihrem
Gedächtnis verankert werden. Doch dieses rote Weib segelt
nach wie vor unbescholten auf einem Schiff der Bruderschaft
und zeigt ihnen, dass sie keine Konsequenzen zu fürchten
haben. Durch ihre Hand erlitt L’Olonnais die Verletzungen,
die ihn davon abhielten, in Richtung Süden zu segeln. Unsere
Mission verzögert sich deutlich, und das macht Frédéric
Deschamps de la Place ein wenig ungehalten. Er zählt auf
seinen Major. Ohne nachweisbare Erfolge werden immer mehr
Männer in eigener Sache losziehen, und der Kodex wird zu
einem bloßen Gedanken verkommen, der an ruhmreiche Tage
erinnert.«
»Du fürchtest um deine Macht«, stellte Jérôme fest.
Der Baske funkelte ihn an. »Aye! Ohne mich wird die
Bruderschaft zu Staub zerfallen. Ich werde nicht dabei
zusehen, wie ein Weib all das zerstört, was ich über die
Jahre aufgebaut habe. Du wirst das ebenso wenig zulassen.
Wir haben zu hart für all das gekämpft, Jérôme!«
»Was hast du vor?«, fragte er und versuchte, seiner Stimme
einen folgsameren Klang zu verleihen.
»Ich werde sie auslöschen!« Der Baske sagte es leichthin.
»Zu welchem Zweck?« Jérôme unterdrückte seinen
aufkeimenden Zorn.
Michel Le Basque musterte ihn. »Rührt das Weib dein Herz?
Kennst du sie etwa?«
Er schüttelte den Kopf und sah zu Boden.
»Gut.« Der Baske nickte versöhnlich. »Es ist an der Zeit,
ein deutliches Zeichen zu setzen. Sie hat mich vor meinen
Männern bloßgestellt. Ich habe schon zu lange gewartet, um
ihr diese Tat heimzuzahlen. Stünde sie nicht unter dem
Schutz des Totenkopfs, wäre die Sache längst erledigt.«
»Sie ist Mitglied der Bruderschaft. Wie willst du ihren
Tod anhand des Kodex rechtfertigen?«
»Erzähl mir nichts über den Kodex. Er ist zum Großteil
mein Verdienst. Doch er muss wieder an Stärke gewinnen. Im
Übrigen werde ich sie weder selbst töten, noch werde ich es
wie eine Bluttat aussehen lassen. Wie Pierre Le Picard
gesagt hat, ich werde den Mann gewinnen, der um ihre
Schwächen weiß und ihn zu einem Verbündeten machen. Sie wird
im Kampf sterben.«
Jérôme runzelte die Stirn. »Pierre Le Picard gab dir
diesen Hinweis?«
»Aye!« Der Baske wirkte gedankenverloren. »Der Untergang
der
Fortune Noire
wird Sinnbild für all jene werden, die es
wagen, sich gegen den Kodex zu stellen! Frauen an Bord
bringen Unglück. Erinnerst
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