Joli Rouge (German Edition)
sich die Hände. Der
Gedanke an die bevorstehende Rache erregte ihn. Dieses Mal
musste er sich in Acht nehmen. Mit einem Schuss aus dem
Hinterhalt würde er sie an der Flucht hindern. Anschließend
wollte er sie mit Messern traktieren, bis sie sich wie ein
Wurm wand und ihn um Gnade anflehte. Die Vorstellung ließ
ihn erzittern. Seine Narbe am Hals pulsierte, und der
Schmerz erinnerte ihn daran, welche Schmach sie ihm zugefügt
hatte. Seit er unter dem Namen L’Olonnais bekannt war, war
es niemandem mehr gelungen, ihn derart zu verwunden. Die
Heilung war noch nicht abgeschlossen und hatte ihn viel
wertvolle Energie gekostet. Der Plan des Basken würde ihn um
das Vergnügen bringen, die rote Jacquotte sterben zu sehen
und sich durch ihren Tod endgültig zu regenerieren. Das
konnte er nicht zulassen! Der Bruderschaft war bedeutungslos
für ihn. Ebenso wie die Engländer, vor denen sich der Baske
so ängstigte. Hatte er erst das Weib erledigt, war er wieder
in der Lage, in See zu stechen und den Überfall auf
Maracaibo voranzutreiben. Er wollte dem Basken beweisen,
dass es auch ohne Einhaltung des Kodex einen Zusammenhalt
der Flibustier gab. Solange sie ihn fürchteten, würden sie
ihm folgen!
Bedrohliche Wolkenberge türmten sich am Himmel auf, als
die
Fortune Noire
zwei Tage später in den Hafen von Cayone
einlief. Die Mannschaft war unruhig.
»Er is‘ noch nie einem Unwetter entgegengesegelt«,
murmelte Jan mit besorgtem Blick.
»Noch nie nicht«, wiederholte Blair-Moche beklommen, und
Jan nickte bestätigend.
»Wenn das mal kein schlechtes Omen ist!« Crochu spuckte
über die Schulter, während Blair-Moche eine Münze über Bord
warf, um Duppy, den Geist, der die Seelen auf den
Meeresgrund zog, zu besänftigen. Jan indes bekreuzigte sich
dreimal.
Jacquotte hielt bei ihrer Arbeit inne und beobachtete die
Schaumkronen auf den Wellen. Im trüben Licht wirkte die
geschützte Hafenbucht wenig einladend. Starke Böen
peitschten die ufernahe Vegetation und einzig Möwen und
Fregattenvögeln genossen es, ihre Schwingen auszubreiten und
akrobatische Flugmanöver zu vollführen. Die Mannschaft
kämpfte beim Bergen der Segel mit den Einholern, und ein
Mann fiel bei dem Versuch, ein verklemmtes Segel
freizubekommen, beinahe vom Bugspriet.
»Ich versteh‘ nicht, warum er Tortue anläuft«, murmelte
Jan und sah Jacquotte aus zusammengekniffenen Augen an. »‘S
gibt nichts zu verprassen oder umzusetzen.«
Er beobachtete die drei Schweine, die unsicher über das
Deck taumelten. Sie verstand seinen unausgesprochenen
Vorwurf. Kein Schiff kehrte ohne volle Taschen und leere
Mägen in den Heimathafen zurück. Sie ignorierte ihn, während
sie gemeinsam mit Crochu das verklemmte Rahsegel einholte.
Sie würde diese alltäglichen Arbeiten vermissen. Bewusst
versuchte sie, sich nichts anmerken zu lassen, obwohl es ihr
dabei nicht gut ging. Weder sie noch Tête-de-Mort hatten den
Männern bislang offenbart, dass dies ihr letzter Tag auf der
Fortune Noire
war. Mit bangem Blick sah sie nach Cayone
hinüber und fragte sich, ob L’Olonnais sie bereits
erwartete. Sie hoffte, dass ihm seine Verletzungen ebenso
zusetzten wie ihr und er keinen neuerlichen Versuch wagte,
sie anzugreifen. Gleichwohl beschlich sie ein unbehagliches
Gefühl. Zum ersten Mal fragte sie sich, ob die Worte von
Tête-de-Mort, Jérôme und Pierre nicht nur Gerede, sondern
ernst zu nehmende Ratschläge gewesen waren. Brauchte sie
Schutz? Jacquotte reckte ihr Kinn. Unsinn, schalt sie sich
selbst, sie war die rote Peitsche! Es war ihr nicht
bestimmt, vor den Männern zu kuschen. Dennoch empfand sie
Furcht, als die
Fortune Noire
Anker warf und die Beiboote
längsseits geholt wurden. Während die Ersten eilig die
Strickleitern hinabließen, um vor dem Losbrechen des Sturms
das sichere Land zu erreichen, verharrte Tête-de-Mort
breitbeinig am Ruder und brüllte den Befehl über Deck, das
Schiff unbewacht zurückzulassen. Der Wind zerrte an seiner
Kleidung und löste das Haarband, sodass ihm die schwarzen
Locken um den Kopf flogen. Mit der linken Hand drückte er
sich den Dreispitz gegen die Brust, während die rechte das
Steuerrad hielt. Er sah aus wie ein rachsüchtiges
Meeresungeheuer. Jacquotte starrte ihn an. Seit ihrem Streit
hatten sie kaum miteinander gesprochen, und mehr denn je
fehlten ihr die Worte, um ihm zu sagen, wie schwer es ihr
fiel, die
Fortune Noire
zu verlassen. Ihn zu
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