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Joli Rouge (German Edition)

Joli Rouge (German Edition)

Titel: Joli Rouge (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fischer
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ziehen. An Deck der
Fortune Noire
glaubte sie, seinen Schatten auszumachen. Sie spürte das
Gewicht der Kette um ihren Hals und blinzelte Wasser aus den
Augen. Das Boot tanzte auf seinem Weg zum Hafen über die
Wogen, und die
Fortune Noire
verschwand im tosenden Dunst
aus ihrem Blickfeld. Jacquotte umfasste das Kreuz. Ihr
Schicksal lag nicht länger in seiner Hand.
    Währenddessen rutschte Jérôme unsicher über die
aufgeweichten Straßen. Das Unwetter nahm stetig an Stärke
zu, und er verachtete sich dafür, dass er im Auftrag des
Basken in sämtlichen Tavernen nach Tête-de-Mort Ausschau
hielt, anstatt sich daheim um seine Familie zu kümmern. Ihm
war bewusst, dass Cajaya im Zweifel besser als er darüber
Bescheid wusste, wie man sich bei einem Hurrikan zu
verhalten hatte, schließlich stammte sie von den Inseln.
Aber sein Jüngster weinte, wenn es donnerte, und Jérôme
sehnte sich nach seinem bequemen Schaukelstuhl, auf dem er
für gewöhnlich saß, um seinen Sohn in den Schlaf zu wiegen.
Der Donner hallte durch die Gassen. Sturzbäche ergossen sich
von den Dächern und spülten allerlei Unrat zwischen seine
Beine. Entschlossen zog er den Mantel fester um sich, um
seine Pistolen vor der Feuchtigkeit zu schützen. Er fluchte.
Was hatte den Totenkopf bei diesem Wetter bloß auf die Insel
getrieben? Jeder, der über Verstand verfügte, wäre vor dem
Sturm davongesegelt, anstatt mitten hinein zu fahren.
    Sein Späher berichtete, dass Tête-de-Mort direkt von den
Cayamanes Inseln kam, wo er auf Schildkrötenfang gewesen
war. Umso mehr erstaunte es Jérôme, dass er nicht in
südlichere Gefilde aufgebrochen war, um Beute zu machen,
sondern auf die Île de la Tortue zurückkehrte. Er hatte erst
in einigen Wochen mit dem Eintreffen des Totenkopfschiffes
gerechnet. Sein plötzliches Auftauchen brachte ihn in eine
unangenehme Situation. Er hatte sich gewünscht, mit Pierre
sprechen zu können, um seine Bedenken gegen ihn auszuräumen
und ihn um Rat zu bitten. Stattdessen befand er sich
weiterhin im Ungewissen und war um des Wohls seiner Familie
willen gezwungen, Tête-de-Mort zu finden.
    Wütend stieß er die Tür zum ‚Antre Borgne‘ auf, und ein
Schwall übler Luft schlug ihm entgegen. Sämtliche Einwohner
von Cayone schienen sich in der größten Taverne am Ort
verschanzt zu haben. Über offenem Feuer trockneten nicht nur
nasse Gewänder, sondern brutzelten Schweinehälften und
schlecht gerupfte Buschhühner. Durch das morsche Holz der
Fenster drang Wasser ein und weichte den gestampften Boden
auf. Dicht an dicht drängten sich die Männer um die Tische,
lehnten an den Wänden oder schnarchten bereits zwischen den
Tischen. Frauen mit blutroten Lippen lockten diejenigen, die
nicht zu betrunken waren, in die oberen Stockwerke. Über
allem wachte der Wirt, der keinen besonderen Ruf genoss. Er
war bekannt dafür, jenen guten Kredit zu gewähren, die
wiederum bekannt dafür waren, ihn nicht zurückzahlen zu
können. Seine Schuldner verkaufte er skrupellos als Knechte.
Jérôme betrat das ‚Antre Borgne‘ so gut wie nie, doch da er
Tête-de-Mort in den anderen Tavernen nicht vorfand, war es
seine letzte Hoffnung.
    Er sah sich um. Der Raum war zu voll, um einzelne
Gesichter zu erkennen. Grob packte er einen der Umstehenden
am Kragen und fragte nach dem Totenkopf. Der Angesprochene
deutete mit dem Kinn in eine düstere Ecke. Jérôme ließ ihn
los, besorgte sich zwei Becher Rum und kämpfte sich ins
Dunkel vor. Eine heruntergebrannte Kerze flackerte auf dem
Tisch und warf tanzende Schatten auf die Gestalt von
Tête-de-Mort. Der Knochen, der die offene Höhle umrandete,
die einst seine Nase gewesen war, leuchtete bleich im Schein
des Feuers. Wie erstarrte Wellen runzelte sich seine Haut zu
den Ohren hin, als fliehe sie vor dem schwarzen Tumorgewebe,
das sich unaufhaltsam ausbreitete. Er bot keinen angenehmen
Anblick, aber Jérôme musterte ihn aufmerksam, um jede
Gemütsregung mitzubekommen.
    Der Totenkopf war mit seinen Gedanken weit weg. Er
umklammerte eine Flasche, die vor ihm auf dem Tisch lag, und
deren Inhalt bedächtig die kleine Lache füllte, die sich
neben ihr gebildet hatte. Das Tuch, mit er für gewöhnlich
sein Gesicht schützte, lag zerknüllt in seiner Hand. Sein
Blick war trüb. Kein Gast wagte sich in die Nähe des
unheimlichen Mannes, und so war der Stuhl ihm gegenüber als
einziger frei. Jérôme zog ihn zum Tisch heran und setzte

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