Joli Rouge (German Edition)
flache Heck des
Schiffes und beobachtete, wie die Männer die etwa
fünfundzwanzig Fuß lange Barke geschickt in den Fluss
manövrierten. Das aufziehende Unwetter brachte sie rasch aus
der baumlosen Uferzone in den Wald, der sich hinter ihnen
schloss und den Wind abbremste. Immer mehr übertönten die
Vogelstimmen das Rauschen des Meeres, und sie bückte sich,
um sich Wasser ins Gesicht zu spritzen. Es war so klar, dass
Jacquotte nicht widerstehen konnte und ihren Kopf immer
tiefer beugte, um mit gierigen Schlucken zu trinken.
Mit einem Mal legte sich ein Schatten über sie und ein
schwerer Stiefel hinderte sie am Fortfahren ihrer Tätigkeit.
Verwirrt blinzelte sie in die schwächer werdende Sonne. Wie
ein schwarzer Geist ragte Tête-de-Mort neben ihr auf und sah
auf sie herab.
»Die
cayamane
sind gefährlich in diesem Teil der Insel.
Ihr solltet besser vorsichtig sein, Yanis.« Er spähte über
die Wasseroberfläche. »Sie treiben wie gefällte Bäume auf
dem Strom und fassen schnell zu, wenn sie nahe genug heran
sind. Wenn Ihr Port de Margot mit heiler Haut erreichen
wollt, anstatt auf dem Grund des Flusses den Tod zu finden,
dann behaltet Hände und Füße im Boot.« Er drehte sich um und
ging.
Jacquotte wischte sich das Gesicht mit dem Ärmel ihres
Hemdes ab und sah ihm verdutzt nach. Jan ließ sich mit
gekreuzten Beinen neben sie plumpsen.
»Gibt’s im Westen
cayamane
?«, fragte er und betastete
neugierig die Machete, die von ihrem Gürtel baumelte. Sie
schlug seine Hand weg.
»Ich hörte von ihnen, habe aber nie welche gesehen«, gab
sie zu und beobachtete Tête-de-Mort, der im Vorübergehen
freundliche Worte mit seinen Männern wechselte. Dann blickte
sie sehnsüchtig auf das wohltuende Wasser, das ihr nun
verwehrt blieb.
»Ihre Eier schmecken gut«, redete Jan weiter. »Haste Glück
und findest ihre Hügelnester, dann kannste dich vollfressen.
Die Eier haben eine raue Schale, sehen innen aber aus wie
bei Vögeln. Bevor wir in See stechen, suchen wir danach,
dann kannste selbst sehen.«
»Wie kommst du darauf, dass ich mit euch in See steche?«
Jacquotte kratzte sich am Kopf. Das Jucken brachte sie fast
um den Verstand.
»Tête-de-Mort hat’s so gesagt.« Jan prüfte mit dem Daumen
die Schärfe der Machete.
Sie zog die Augenbrauen hoch. »Warum will er mich in die
Mannschaft aufnehmen?«
»Wer viel fragt, is‘ viel dumm.« Jan blies seine Backen
auf und schnitt Grimassen.
»
Guaiba'
«, erwiderte sie und Jans Augen wurden groß.
»Welche Sprache is` das?«
»Wer viel fragt, is‘ viel dumm.« Sie streckte ihm die
Zunge raus und lachte auf, als Jan sie spielerisch in den
Arm zwickte.
Am Abend desselben Tages erreichte die Barke in strömendem
Regen die spärlich beleuchtete Anlegestelle von Port de
Margot. Wie die meisten Männer war auch Jacquotte damit
beschäftigt, Wasser aus dem Boot zu schaufeln, während der
andere Teil sich mit aller Kraft in die Riemen legte. Beim
Losbrechen des Sturms hatten sie das Segel eingeholt und
sich allein auf die Ruder verlassen. Tête-de-Mort trotzte
dem Gewitter mit einer Entschlossenheit, die seine
Mannschaft beruhigte, und half instinktiv, wo Not am Mann
war. Mit seiner eindrucksvollen Statur wirkte er wie ein
starker Baum, und seine Stimme übertönte das Gewitter, wenn
er Befehle brüllte und gegen den Wind anschrie.
Jacquotte hatte bereits einige Unwetter miterlebt, aber
keines hatte derart an ihr gezehrt wie dieses. Das dunkle
Wasser, das die Barke zu verschlingen drohte, ließ sie
unweigerlich an die
cayamane
denken. Außerdem schien sich
das wogende Boot über ihren Gleichgewichtssinn lustig zu
machen, und sie war froh, dass ihr Magen leer war. So würgte
und hustete sie nur trocken, bis ihr ganzer Körper ein
einziger Krampf war. Um sich vor den anderen keine Blöße zu
geben, rannte sie ständig umher und bemühte sich, kräftig
mit anzupacken. Erst als Jan sie am Ärmel zupfte und ihre
Aufmerksamkeit auf die verschwommenen Umrisse eines
Landungsstegs richtete, ließ ihre Anspannung nach.
Erhellt von gleißenden Blitzen, betrat die Mannschaft die
schlüpfrigen Bretter und begann mit dem Abladen der Barke.
Bereits nach kurzer Zeit erschienen dunkelhäutige Männer mit
Karren, um die Fracht unter der Aufsicht von Tête-de-Mort zu
einem unbestimmten Ziel zu bringen. Jacquotte schuftete
beharrlich. Durch die Anstrengungen war ihr Körper
ausgelaugt und ihre Muskeln begannen zu
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