Joli Rouge (German Edition)
worden war.
Große Hoffnungen lagen auf diesem Mann, der mit Gouverneur
D’Oyley auf Jamaika eine Allianz zur Begründung der
Freihandelszone zwischen den amerikanischen Inseln eingehen
sollte. Laut Jérôme befand er sich bereits auf dem Weg nach
Port de Margot, um Leute zur Wiederbesiedlung der Île de la
Tortue anzuwerben, die sich seit einigen Jahren nicht mehr
in französischer Hand befand. Jacquotte verstand die
politischen Zusammenhänge nicht, aber sie wusste, dass sie
in Port de Margot einflussreiche Männer treffen würde.
Dieser Ort bot ihr die Möglichkeit zu beweisen, dass sie
würdig war, der Bruderschaft beizutreten.
Ihr Herz klopfte vor Nervosität. Seit einem Tag hielt sie
sich auf der Anhöhe versteckt und beobachtete das Treiben.
Bei Flut segelten die kleineren Schiffe flussaufwärts, um im
Hafen von Port de Margot vor Anker zu gehen. Anfänglich
hatte sie geglaubt, dass die Stadt direkt an der Küste lag,
aber das stellte sich als Irrtum heraus. Zwar gab es eine
Ansiedlung an der Flussmündung, aber sie war lediglich der
Vorposten. Die eigentliche Stadt lag im Landesinneren und
bot ihren Bewohnern den Schutz des dichten Waldes. Sie hatte
das lärmende Treiben von der anderen Seite des Flusses
ausgekundschaftet und scheute sich seitdem, die Stadt zu
betreten. Zu neu waren die Eindrücke, zu hektisch die
Betriebsamkeit. Dennoch, sie hatte nicht all die Strapazen
auf sich genommen, um nun einen Rückzieher zu machen.
Jacquotte straffte ihre Schultern. Sie hatte Hunger und
Durst. Mit einem letzten Blick zurück in die Richtung, aus
der sie gekommen war, setzte sie sich in Bewegung und
schritt entschlossen die Anhöhe hinab. Kurze Zeit später
stand sie zum ersten Mal in ihrem Leben am Meer. Gewiss, sie
kannte das Meer, überwiegend jedoch aus Erzählungen und den
sehnsüchtigen Blicken aus der Sicherheit ihrer Höhle heraus.
Im Angesicht mit den Wellen kam es ihr mit einem Mal
lebendig vor. Sie spürte, wie der Wind ihr Gesicht mit der
prickelnden Gischt benetzte, und roch den frischen Atem, den
das Wasser freisetzte. Wie ein Kind leckte sie an ihrem
Finger und stellte fest, dass es salzig schmeckte. Sie
lachte, als die kühlen Wellen im Sand ausliefen und ihre
Füße umspülten. Noch nie zuvor hatte sie sich so belebt
gefühlt. Der Ozean reichte bis zum Horizont und Jacquotte
fragte sich, welche Länder es dort zu entdecken gab.
Selbstvergessen ließ sie den Sand durch ihre Hände rieseln
und erfreute sich am Anblick der Vögel mit den gebogenen
Schnäbeln, die am Strand umherliefen und sich im Rhythmus
der Wellen vor und zurück bewegten.
Fast hätte sie den Jungen übersehen, der auf sie zugeeilt
kam. Seine blauen Augen leuchteten vorwitzig unter einem
dichten rotblonden Haarschopf hervor, als er sie furchtlos
ansprach: »He, Schweinehirte, was tuste hier?«
Jacquotte versuchte, ihn böse anzusehen, doch es gelang
ihr nicht. Vorsichtig hielt sie Ausschau nach weiteren
Männern, aber der Junge schien alleine zu sein.
»Wer will das wissen?«, fragte sie.
»Mein Name is´ Jan. Bin Schiffsjunge bei Tête-de-Mort. Wer
bist´n du?« Er fischte Ungeziefer aus seinem Ohr und
zerquetschte es in der Handfläche.
„Ich bin Yanis le Jouteur.«
Der Junge musterte sie und zog die Nase kraus. »Das is`n
großer Name für `n kleinen Mann«, stellte er fest.
Jacquotte verkniff sich ein Lachen. Ihm war nicht
aufgefallen, dass sie eine Frau war, obwohl sie ihn für
einen gewitzten Burschen hielt.
»Es ist stets besser, unterschätzt zu werden, als die
Aufmerksamkeit aller auf sich zu lenken.« Sie nickte ihm
freundlich zu und wandte sich zum Gehen. Wenn sie vor
Einbruch der Dämmerung in Port de Margot sein wollte, dann
musste sie sich beeilen.
»He, Schweinehirte«, rief der Junge ihr hinterher. „Wir
könnt`n Hilfe brauchen. Tête-de-Mort lädt seine Prise auf
`ne Barke um, um sie nach Port de Margot zu schiffen.
Kannste zupacken?«
Jacquotte fuhr herum. »Mein Name ist Yanis! Wenn du dir
das nicht merkst, wirst du schnell lernen, dass ich zupacken
kann«, knurrte sie gutmütig.
Der Junge grinste und deutete mit dem Kinn in Richtung
Fluss. »Folg mir«, forderte er sie auf.
Sie zögerte. »Selbst Schweinehirten arbeiten nicht
umsonst. Was ist für mich drin?«, wollte sie wissen.
»Wirst schon entlohnt werden. Tête-de-Mort kennt keinen
Geiz. Und nun komm!«
Sie zuckte mit den Schultern und trottete hinter ihm her.
Die
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