Joli Rouge (German Edition)
zittern. Ihre
Kleidung war vollgesogen und sie spürte, dass ihr das Wasser
bis über die Knöchel in den Schuhen stand. Kaum fähig, einen
klaren Gedanken zu fassen, folgte sie schließlich dem
letzten Karren, und stolperte in die pulsierende Stadt
hinein. Der Boden war so schlammig, dass sich die Räder des
Gefährts festsaugten, und nur mit gemeinsamer Anstrengung
gelang es ihnen, sie frei zu bekommen. Als sie sich mit
einem Ruck in Bewegung setzten, wäre sie fast gefallen,
hätte Tête-de-Mort sie nicht im letzten Moment aufgefangen.
Als wöge sie nicht mehr als eine Feder, hob er sie neben Jan
auf den Wagen und trieb die Männer an. Jacquotte zog ihren
Hut ins Gesicht, um sich vor dem prasselnden Regen und
unliebsamen Blicken zu schützen.
Um einen großen Platz verteilt lagen lang gezogene
Holzhäuser, deren Inneres schummrig mit Öllampen beleuchtet
war. Vor ihnen brannten Feuer, die selbst der Regen nicht zu
löschen vermochte. In ihrem Schein sammelten sich
geräuschvolle Gruppen, die offensichtlich angetrunken waren.
Sie heizten die Flammen mit Rum an und grölten, wenn die
brennenden Fontänen in den Himmel schossen. Die ganze Stadt
erschien Jacquotte laut, ungastlich und schmutzig. Sie lugte
zu Jan hinüber, der selig strahlte. Für ihn war Port de
Margot offenbar nichts Ungewohntes.
Mit einem letzten Rumpeln rollte der Karren in ein
düsteres Lager, in dem die Männer bereits damit beschäftigt
waren, die Kisten und Säcke zu stapeln. Sie sprang zu Boden
und konnte gerade noch verhindern, dass die Knie unter ihr
nachgaben. Mit letzter Kraft wuchtete sie die Säcke vom
Wagen und reichte sie Jan, der sie wiederum dem nächsten
Mann zuwarf. Als der Karren endlich leer war, verdrückten
sich die Männer in die Dunkelheit, und Jacquotte blieb
zurück. Unsicher sah sie sich um. Ihr Magen knurrte und ihre
Kehle war ausgedörrt. Zu gerne hätte sie sich etwas zu essen
besorgt, aber sie wusste nicht wohin. Während sie noch
überlegte, betrat Tête-de-Mort das Lager. Er hielt den
zappelnden Jan am Schlafittchen fest und sah sie verwundert
an.
»Zum Donnerkiel, Yanis! Ich hatte erwartet, dass bereits
alle unter den Rumfässern liegen.« Er warf Jan wie eine
lästige Ratte auf den Berg mit Säcken und musterte sie.
»Pass auf, dass er sich nicht von der Stelle bewegt«, befahl
er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Dann
stapfte er zurück in den Regen.
Jacquotte ließ sich resigniert neben ihren neuen Freund
fallen, der die Arme vor der Brust verschränkt hielt. Sie
hatte die Hoffnung bereits aufgegeben, an diesem Tag noch
etwas zwischen die Zähne zu bekommen.
»Das haste davon!« Jan war verdrießlicher Stimmung. »Den
Letzten beißen die Hunde.«
Sie schwieg. Es war ein langer Tag gewesen und sie war
müde. Um ein Haar wäre sie eingeschlafen, als Tête-de-Mort
erneut ins Lager polterte. In jeder Hand hielt er eine
Holzschüssel mit dampfendem Eintopf.
»
Salmigondis
«, seufzte Jan begeistert und nahm die
Schüssel entgegen. »Mein Lieblingsgericht.«
Sofort schlürfte er gierig, fischte sich die heißen
Fleischbrocken mit den Fingern heraus und schlang das stark
gewürzte Gericht geräuschvoll hinunter. Jacquotte tat es ihm
gleich, auch wenn sie sich vor Tête-de-Mort nicht wie ein
hungriges Tier aufführen wollte. Die wohlige Wärme verteilte
sich in ihrem Magen, und ließ ihre Glieder matt werden.
Tête-de-Mort beobachtete das Mahl wortlos und nahm die
Schüsseln nach kurzer Zeit wieder an sich.
»Ihr bleibt bei ihm! Hütet ihn wie Euren Augapfel.«, wies
er sie an und schenkte ihr einen letzten, warnenden Blick,
bevor er endgültig in die Nacht entschwand.
Jan rollte sich auf den Säcken zusammen, rülpste und
begann, kurz darauf zu schnarchen. Jacquotte legte sich
neben ihn und verschränkte die Hände hinter ihrem Kopf. Ohne
dass sie sich dagegen wehren konnte, fielen ihre Augenlider
zu und sie wurde in einen tiefen, traumlosen Schlaf gezogen.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, hatte der Regen
aufgehört und Sonnenstrahlen fielen durch die Ritzen der
Bretterwand. Sie blinzelte. Erst langsam kehrten die
Erinnerungen zurück, und ihr wurde bewusst, wo sie sich
befand. Sie streckte sich und bemerkte, dass ihr jeder
Muskel wehtat. Ihre Kleidung war feucht und fühlte sich
unangenehm auf der Haut an. Träge erhob sie sich von ihrem
Lager. Über dem Ort lag eine gespenstische Ruhe, obwohl der
Tag schon fortgeschritten
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