Jonathan Strange & Mr. Norrell
Sand. Die verschwanden nämlich nicht einfach nach getaner Arbeit, wie Strange es versprochen hatte; vielmehr schwammen sie eineinhalb Tage lang in Spithead herum und bildeten schließlich an völlig unerwarteten Stellen neue Sandbänke. Die Steuermänner und Lotsen von Portsmouth beschwerten sich beim Hafenadmiral darüber, dass Strange die Fahrwasser und Untiefen in Spithead nachhaltig verändert habe und dass die Marine nun all die Kosten und Mühen auf sich nehmen müsse, die Wassertiefen neu auszuloten und zu erfassen.
In London jedoch, wo die Minister genauso wenig über Schiffe und die Seefahrt wussten wie Strange, war nur eins klar: Strange hatte ein Schiff gerettet, dessen Verlust die Admiralität sehr teuer zu stehen gekommen wäre.
»Eins wird durch die Rettung der Black Joke deutlich«, bemerkte Sir Walter Pole zu Lord Liverpool, »und zwar der große Vorteil, den es mit sich bringt, wenn man den Zauberer vor Ort hat, um bei einer Krise sofort einschreiten zu können. Ich weiß, dass wir überlegt haben, Norrell irgendwohin zu schicken, und davon wieder Abstand genommen haben, aber wie sieht es mit Strange aus?«
Lord Liverpool dachte darüber nach. »Ich glaube«, sagte er, »wir könnten Mr. Strange guten Gewissens nur zu einem General schicken, von dem wir annehmen können, dass er in Kürze einen Erfolg gegen die Franzosen erzielen wird. Alles andere wäre eine unverzeihliche Verschwendung von Mr. Stranges Talenten, die in London weiß Gott dringend genug gebraucht werden. Offen gestanden ist die Auswahl nicht groß. Eigentlich gibt es nur Lord Wellington.«
»Oh ja!«
Lord Wellington war mit seiner Armee in Portugal, daher konnte man seine Meinung nicht so einfach einholen, doch dank eines merkwürdigen Zufalls lebte seine Frau in der Harley Street 11, genau gegenüber von Sir Walter. Als Sir Walter an diesem Abend heimkehrte, klopfte er an Lady Wellingtons Tür und fragte Ihre Ladyschaft, was Lord Wellington ihrer Einschätzung nach zu einem Zauberer sagen würde. Doch Lady Wellington, eine kleine unglückliche Person, deren Meinung von ihrem Mann nicht besonders geschätzt wurde, wusste es nicht.
Strange hingegen war über den Vorschlag hocherfreut. Arabella, die zwar nicht ganz so erfreut war, gab bereitwillig ihre Zustimmung. Als größtes Hindernis für Stranges Reise stellte sich, zu niemandes großer Überraschung, Norrell heraus. Im vergangenen Jahr hatte Mr. Norrell sich langsam, aber sicher an seinen Schüler gewöhnt und hatte begonnen, sich auf ihn zu verlassen. Er wandte sich in all den Angelegenheiten an Strange, die er in früheren Tagen Drawlight und Lascelles überlassen hatte. Mr. Norrell sprach über nichts anderes als über Mr. Strange, wenn er nicht da war, und sprach nur mit Strange, wenn er da war. Dieses Gefühl der Anhänglichkeit schien umso stärker, als es völlig neu war; er hatte sich in Gegenwart anderer Leute noch nie richtig wohl gefühlt. Wenn Strange es in einem überfüllten Salon oder Tanzsaal irgendwie einrichten konnte, für eine Viertelstunde zu entschwinden, dann sandte Mr. Norrell Drawlight aus, um herauszufinden, wo er war und mit wem er sprach. Folglich war Mr. Norrell erschüttert, als er von dem Plan erfuhr, seinen einzigen Schüler und Freund in den Krieg zu schicken. »Ich bin erstaunt, Sir Walter«, sagte er, »dass Sie so etwas überhaupt vorschlagen!«
»Aber jeder muss bereit sein, seinem Land im Krieg Opfer zu bringen«, sagte Sir Walter etwas gereizt. »Und Tausende haben das bereits getan, wie Sie wissen.«
»Aber das waren Soldaten!« , rief Mr. Norrell. »Ein Soldat ist auf seine Art vermutlich sehr wertvoll, aber das ist nichts im Vergleich zu dem Verlust, den die Nation erleiden würde, falls Mr. Strange etwas zustoßen sollte! Soweit ich weiß, gibt es eine Schule in High Wycombe, in der jedes Jahr dreihundert Offiziere ausgebildet werden. Ich würde meinem Schöpfer danken, wenn ich das Glück hätte, dreihundert Zauberer auszubilden! Wenn das so wäre, dann wäre die englische Zauberei in einer sehr viel aussichtsreicheren Situation als jetzt!«
Nach dem gescheiterten Versuch Sir Walters führten Lord Liverpool und der Herzog von York eine weitere Unterredung mit Mr. Norrell zu diesem Thema, doch Mr. Norrell war durch nichts davon zu überzeugen, dass Stranges vorgeschlagene Abreise mit irgendeinem anderen Gefühl als Schrecken betrachtet werden konnte.
»Haben Sie daran gedacht, Sir«, sagte Strange, »wie sehr eine solche Reise
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