Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
Vom Netzwerk:
Mund stand offen, um sie zu verschlingen.
    »Also wirklich, Madam!«, rief Strange. »Ich muss darauf bestehen, dass Sie Ihr Abendessen einen Augenblick hinausschieben und mir zuhören.« Er beugte sich vor und nahm ihr die Untertasse weg. Zum ersten Mal schien Mrs. Delgado seine Anwesenheit zu bemerken. Sie miaute ärgerlich und sah ihn missbilligend an.
    »Ich möchte, dass Sie mir beibringen, verrückt zu sein. Die Idee ist so nahe liegend, dass ich mich frage, warum ich nicht früher darauf gekommen bin.«
    Mrs. Delgado knurrte leise.
    »Oh, Sie stellen die Weisheit meines Vorschlags in Frage? Da haben Sie wahrscheinlich Recht. Wahnsinnig werden zu wollen ist sehr unbesonnen. Mein Lehrer, meine Frau und meine Freunde wären sehr wütend, wenn sie davon wüssten.« Er hielt inne. Der ironische Ausdruck verschwand aus seinem Gesicht, ebenso wie der unbeschwerte Tonfall aus seiner Stimme. »Aber ich habe mich meines Lehrers entledigt, meine Frau ist tot, und von meinen Freunden trennen mich zwanzig Meilen eiskaltes Wasser und ein halber Kontinent. Seitdem ich diesen merkwürdigen Beruf ergriffen habe, bin ich zum ersten Mal nicht gezwungen, andere Ansichten zu berücksichtigen. Nun, wie soll ich anfangen? Sie müssen mir etwas geben – etwas, was als Symbol und Medium Ihres Wahnsinns dienen kann.« Er schaute sich um. »Bedauerlicherweise scheinen Sie nichts zu besitzen, außer Ihrem Gewand« – er blickte auf die Untertasse in seiner Hand – »und dieser Maus. Ich glaube, mir ist die Maus lieber.«
    Strange begann, einen Zauberspruch zu murmeln. Silbrige Lichter explodierten im Zimmer. Es war etwas zwischen weißen Flammen und dem Glitzern eines Feuerwerks. Einen Augenblick lang hing dieses Licht zwischen Mrs. Delgado und Strange in der Luft. Dann machte Strange eine Geste, als wollte er das Licht auf sie werfen; das Licht flog zu ihr, und einen Moment lang war sie in einen silbrigen Schein getaucht. Dann war Mrs. Delgado plötzlich nicht mehr da, und an ihrer Stelle saß ein ernstes schmollendes Mädchen in einem altmodischen Kleid auf dem Stuhl. Dann verschwand auch das Mädchen, und statt seiner erschien eine wunderschöne junge Frau mit einem eigensinnigen Ausdruck. Auf sie folgte rasch eine ältere Frau in gebieterischer Haltung und mit einem Funkeln drohenden Wahnsinns in den Augen. Alle Frauen, die Mrs. Delgado gewesen war, flackerten für einen Augenblick auf. Dann waren sie verschwunden.
    Auf dem Stuhl lag nur ein Häufchen zerknitterter Seide. Daraus trat eine kleine graue Katze. Die Katze hüpfte anmutig zu Boden, sprang auf das Fensterbrett und tauchte in der Dunkelheit unter.
    »Tja, das hat funktioniert«, sagte Strange. Er hob die halb verweste tote Maus am Schwanz hoch. Sofort wurde er für mehrere Katzen interessant, die miauten, schnurrten und sich an seinen Beinen rieben, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
    Er verzog das Gesicht. »Und was musste John Uskglass ertragen, um die englische Zauberei zu schmieden?«
    Er fragte sich, ob er einen Unterschied merken würde. Würde er, nachdem er gezaubert hätte, versuchen herauszufinden, ob er jetzt verrückt war? Würde er dastehen und versuchen, verrückte Gedanken zu denken, um festzustellen, ob sie natürlicher waren? Er blickte sich ein letztes Mal in der Welt um, öffnete den Mund und versenkte vorsichtig die Maus darin...
    Es war, als stünde er unter einem Wasserfall oder als würden ihm zweitausend Trompeten ins Ohr blasen. Alles, was er zuvor gedacht hatte, alles, was er gewusst hatte, alles, was er gewesen war, wurde in einer reißenden Flut wirrer Gefühle und Empfindungen davongeschwemmt. Die Welt wurde neu erschaffen in flammenroten Farben, die unerträglich waren. Sie war durchschossen von neuen Ängsten, neuen Wünschen, neuem Hass. Er war von großen Existenzen umgeben. Manche hatten ein böses Maul voller Zähne und riesige brennende Augen. Eine schrecklich verkrüppelte Spinne bäumte sich neben ihm auf. Sie war bösartig. Er hatte etwas im Mund, und sein Geschmack war unaussprechlich. Unfähig zu denken, unfähig zu wissen, fand er Gott weiß wo die Geistesgegenwart, es auszuspucken. Jemand schrie ...
    Er lag auf dem Rücken und starrte empor in ein Durcheinander aus Dunkelheit, Dachbalken und Mondschein. Ein schattiges Gesicht tauchte auf und spähte auf beunruhigende Weise in sein Gesicht. Sein Atem war warm, feucht und übel riechend. Er erinnerte sich nicht, sich hingelegt zu haben, aber andererseits erinnerte er sich an kaum

Weitere Kostenlose Bücher