Jonathan Strange & Mr. Norrell
zu ihr.
Um die Zeit zu füllen, dachte er daran, Miss Greysteel zu besuchen. »Aber ich nehme an, dass ihr Vater und ihre Tante da sein werden.« Er gab einen leisen Laut der Ungeduld von sich. »Langweilig! Langweilig! Langweilig! Warum haben hübsche Frauen immer so viele Verwandte?« Er betrachtete sich selbst im Spiegel. »Gütiger Gott! Dieses Halstuch sieht aus, als hätte es ein Bauer gebunden.«
Die nächste halbe Stunde verbrachte er damit, das Halstuch immer wieder neu zu binden, bis er zufrieden war. Dann sah er, dass seine Fingernägel länger waren, als es ihm gefiel, und nicht sonderlich sauber. Er suchte nach einer Schere, um sie zu schneiden.
Die Schere lag auf dem Tisch. Und daneben lag etwas anderes. »Was haben wir denn da?«, fragte er. »Zettel! Zettel mit Zaubersprüchen darauf.« Das fand er überaus erheiternd. »Weißt du, das ist wirklich komisch«, sagte er zu der kleinen hölzernen Figur, »aber ich kenne den Kerl, der sie geschrieben hat. Er heißt Jonathan Strange. Und wenn ich's mir recht überlege, glaube ich, dass auch die Bücher ihm gehören.« Er las ein wenig. »Ha! Du wirst nie erraten, mit was für einer Idiotie er sich gerade beschäftigt. Er will Elfen herbeizaubern. Haha! Er redet sich ein, dass er einen Elfendiener braucht, um die englische Zauberei voranzubringen. Aber in Wirklichkeit will er nur Gilbert Norrell einen Schrecken einjagen. Er ist Hunderte von Meilen in die schönste Stadt der Welt gereist, und alles, was ihn beschäftigt, ist, was ein alter Mann in London denkt! Wie lächerlich!«
Er legte angewidert die Zettel auf den Tisch zurück und nahm die Schere. Er wandte sich um und konnte gerade noch verhindern, dass etwas gegen seinen Kopf stieß. »Was um alles in der Welt...?«, setzte er an.
Ein schwarzes Band hing von der Decke. Am Ende waren ein paar winzige Knochen und ein Fläschchen mit einer dunklen Flüssigkeit – Blut vielleicht – sowie ein Stück Papier zusammengebunden und daran befestigt. Das Band war so lang, dass eine Person, die durch das Zimmer ging, früher oder später daran stoßen musste. Strange schüttelte ungläubig den Kopf über die Dummheit anderer Leute. Er lehnte sich gegen den Tisch und begann, seine Fingernägel zu schneiden.
Mehrere Minuten vergingen. »Weißt du, er hatte eine Frau«, sagte er zu der kleinen Holzfigur. Er hielt die Hand nahe an die Kerze, um seine Nägel zu begutachten. »Arabella Woodhope. Das reizendste Mädchen der Welt. Aber sie ist tot. Tot, tot, tot.« Er nahm einen Nagelpolierer und begann, sich die Nägel damit zu polieren. »Jetzt, wo ich darüber nachdenke, war nicht auch ich in sie verliebt? Ich glaube schon. Sie hat auf die süßeste Art meinen Namen ausgesprochen und mich gleichzeitig angelächelt, und dabei hat mein Herz jedes Mal einen Sprung gemacht.« Er lachte. »Weißt du, es ist wirklich sehr lächerlich, aber ich kann mich nicht erinnern, wie ich heiße. Laurence? Arthur? Frank? Ich wünschte, Arabella wäre hier. Sie wüsste es. Und sie würde es mir auch sagen! Sie gehört nicht zu den Frauen, die einen necken und darauf bestehen, aus allem ein Spiel zu machen, lange nachdem es aufgehört hat, amüsant zu sein. Bei Gott, ich wünschte, sie wäre hier. Hier schmerzt es.« Er schlug sich leicht aufs Herz. »Und hier ist etwas Heißes und Hartes.« Er schlug sich auf die Stirn. »Aber wenn ich eine halbe Stunde mit Arabella reden könnte, wäre alles wieder gut, dessen bin ich sicher. Vielleicht sollte ich den Elfen von diesem Strange herbeirufen und ihn bitten, sie herzubringen. Elfen können die Toten herbeizitieren, nicht wahr?« Er nahm den Zauberspruch vom Tisch und las ihn noch einmal. »Da ist nichts dabei. Es ist die einfachste Sache der Welt.«
Er leierte die Worte des Zauberspruchs herunter, und dann widmete er sich wieder seinen Nägeln, weil es ihm wichtig erschien.
Im Schatten neben dem bemalten Schrank stand eine Person in einem laubgrünen Rock – eine Person mit Haaren wie Distelwolle, eine Person mit einem amüsierten überlegenen Lächeln im Gesicht.
Strange konzentrierte sich auf seine Fingernägel.
Der Herr mit dem Haar wie Distelwolle ging zu Strange und streckte die Hand aus, um ihn am Haar zu ziehen. Aber bevor er das tun konnte, sah ihn Strange an und sagte: »Sie haben nicht zufälligerweise eine Prise Schnupftabak dabei?«
Der Herr mit dem Haar wie Distelwolle erstarrte.
»Ich habe in allen Taschen dieses verdammten Rocks nachgeschaut«, fuhr Strange
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