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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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etwas. Er fragte sich, ob er in London oder Shropshire war. Sein Körper fühlte sich sehr merkwürdig an, so als würden mehrere Katzen gleichzeitig auf ihm herumlaufen. Nach einer Weile hob er den Kopf und sah, dass dem tatsächlich so war.
    Er setzte sich auf, und die Katzen sprangen davon. Durch ein zerbrochenes Fenster schien der Vollmond. Sich von einer Erinnerung zur nächsten hangelnd, setzte er den Abend wieder zusammen. Er erinnerte sich an den Zauberspruch, mit dem er die alte Frau verwandelt hatte, an seinen Plan, sich selbst in den Wahnsinn zu treiben, um den Elfen sehen zu können. Zuerst erschien ihm alles so weit entfernt, dass er glaubte, sich an Ereignisse zu erinnern, die vielleicht vor einem Monat stattgefunden hatten. Aber er befand sich auf dem Dachboden, und auf seiner Taschenuhr sah er, dass kaum Zeit vergangen war.
    Die Maus hatte er gerettet. Zum Glück war sein Arm darauf gefallen und hatte sie vor den Katzen bewahrt. Er steckte sie in die Tasche und verließ eilig den Raum. Er wollte keinen Augenblick länger hier bleiben; der Raum war von Anfang an albtraumhaft gewesen, und jetzt schien er ihm ein Ort unsäglicher Schrecken.
    Auf der Treppe begegnete er mehreren Personen, die keinerlei Notiz von ihm nahmen. Er hatte die Bewohner des Hauses zuvor verzaubert, und sie waren davon überzeugt, dass sie ihn jeden Tag sahen, dass er regelmäßig vorbeikam und nichts normaler war, als dass er sich hier aufhielt. Aber hätte jemand sie gefragt, wer er war, hätten sie keine Auskunft geben können.
    Er ging zurück in seine Wohnung nahe Santa Maria Zobenigo. Der Wahnsinn der alten Frau schien noch nicht ganz verflogen zu sein. Die Menschen, die auf den Straßen an ihm vorübergingen, waren merkwürdig verwandelt; ihre Mienen waren grimmig und unergründlich, und ihr Gang war schwerfällig und schleppend. Also, eins ist klar, dachte er. Die alte Frau war in der Tat sehr wahnsinnig. In diesem Zustand kann ich den Elfen unmöglich herbeirufen.
    Am nächsten Tag stand er früh auf und begann sofort nach dem Frühstück, das Fleisch und die Innereien der Maus gemäß wohl bekannten zauberischen Verfahren zu einem Pulver zu verarbeiten. Die Knochen bewahrte er intakt auf. Dann machte er aus dem Pulver eine Tinktur. Das hatte zwei Vorteile. Erstens (und das war keineswegs nebensächlich) war es wesentlich weniger ekelhaft, ein paar Tropfen der Tinktur zu schlucken, als eine tote Maus in den Mund zu nehmen. Zweitens glaubte er, auf diese Weise das Ausmaß an Wahnsinn, dem er sich aussetzte, besser regulieren zu können.
    Gegen fünf Uhr nachmittags hatte er eine dunkelbraune Flüssigkeit, die vor allem nach dem Branntwein roch, den er zur Herstellung der Tinktur verwendet hatte. Er füllte sie in ein Fläschchen ab. Dann zählte er gewissenhaft vierzehn Tropfen in ein Glas mit Branntwein und trank es.
    Nach ein paar Minuten blickte er aus dem Fenster auf den Campo Santa Maria Zobenigo. Leute schlenderten hin und her. Ihre Hinterköpfe waren hohl, ihre Gesichter nichts als dünne Masken. In jedem Hohlraum brannte eine Kerze. Das war so offensichtlich, dass er sich wunderte, es nicht früher bemerkt zu haben. Er stellte sich vor, was passieren würde, wenn er hinunterginge und die Kerzen ausblasen würde. Bei diesem Gedanken musste er lachen. Er musste so lachen, dass er sich nicht auf den Beinen halten konnte. Sein Gelächter hallte im Haus wider. Ein letzter verbliebener Funke Verstand warnte ihn, dass sein Vermieter und dessen Familie besser nicht erführen, was er tat, deswegen legte er sich ins Bett und dämpfte das Lachgeräusch mit einem Kissen. Von Zeit zu Zeit strampelte er mit den Beinen, weil die Vorstellung so komisch war.
    Am nächsten Morgen erwachte er im Bett, vollständig angekleidet und mit den Stiefeln an den Füßen. Abgesehen von dem unangenehmen schmierigen Gefühl, das man im Allgemeinen hat, wenn man in den Kleidern geschlafen hat, meinte er sich wie immer zu fühlen. Er wusch und rasierte sich und zog frische Kleider an. Dann ging er aus, um etwas zu essen und zu trinken. An der Ecke Calle de la Cortesia und dem Campo San Angelo befand sich ein Kaffeehaus, das er mochte. Alles war wie immer, bis der Kellner die Tasse mit Kaffee auf seinen Tisch stellte. Strange blickte auf und sah ein Funkeln wie eine winzige Kerzenflamme in den Augen des Mannes. Er musste feststellen, dass er nicht länger wusste, ob Menschen Kerzen im Kopf hatten oder nicht. Er wusste jedoch, dass ein gewaltiger

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