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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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längerem an der Kreuzung; die Ärmel seines Rocks waren mit weißem Reif bedeckt. Ein leises Klicken hinter ihm veranlasste ihn, sich umzudrehen. Doch dort war nichts: lediglich die gleiche stille Baumreihe wie zuvor.
    »Nein, nein«, murmelte er vor sich hin. »Es war nichts. Ein trockenes Blatt fiel herunter – das ist alles.« Ein schneidendes Knacken war zu hören, als würde gefrorenes Holz oder gefrorener Stein bersten. Er blickte sich noch einmal mit vor Angst geweiteten Augen um. »Es war nur ein trockenes Blatt«, murmelte er.
    Dann war ein neues Geräusch zu hören. Einen Moment lang geriet er in Panik, weil er sich nicht sicher war, woher es stammte; bis er es als das erkannte, was es war: Pferdehufe. Er blickte den Weg entlang. Ein undeutlicher grauer Fleck im Nebel deutete an, wo sich ein Pferd mit Reiter näherte.
    »Endlich ist er da. Er ist da«, murmelte Drawlight und eilte vorwärts. »Wo waren Sie?«, rief er. »Ich habe stundenlang hier gewartet.«
    »Na und?«, sagte Lascelles' Stimme. »Sie haben nichts anderes zu tun.«
    »Oh, da irren Sie sich aber! Da irren Sie sich gewaltig. Sie müssen mich so schnell wie möglich nach London bringen!«
    »Alles zu seiner Zeit.« Lascelles tauchte aus dem Nebel auf und zügelte sein Pferd. Seine eleganten Kleider und sein eleganter Hut waren mit silbrigen Tauperlen bestäubt.
    Drawlight sah ihn einen Moment lang an und sagte dann schmollend, seinem früheren Selbst nicht unähnlich: »Wie adrett Sie angezogen sind. Aber, wissen Sie, eigentlich ist es nicht besonders klug von Ihnen, Ihren Wohlstand so zur Schau zu stellen. Haben Sie keine Angst vor Räubern? Dies ist ein ziemlich scheußlicher Winkel. Vermutlich gibt es in unmittelbarer Nähe alle möglichen Arten von verzweifelten Gestalten.«
    »Sie haben wahrscheinlich Recht. Aber wie Sie sehen, habe ich meine Pistolen dabei, und ich bin genauso verzweifelt wie sie.«
    Drawlight durchfuhr ein plötzlicher Gedanke. »Wo ist das andere Pferd?«, fragte er.
    »Was?«
    »Das andere Pferd! Das, das mich nach London bringen soll. Oh, Lascelles, Sie Dummkopf! Wie soll ich ohne Pferd nach London kommen?«
    Lascelles lachte. »Ich hätte gedacht, Sie wären froh, London zu meiden. Ihre Schulden mögen abbezahlt sein – ich habe sie bezahlt –, aber in London gibt es immer noch viele Leute, die Sie hassen und die Ihnen ein Bein stellen werden, wenn sie können.«
    Drawlight schaute drein, als verstünde er kein Wort. Mit schriller, aufgeregter Stimme rief er: »Aber ich habe Anweisungen vom Zauberer! Er hat mir Botschaften aufgetragen, die ich allen möglichen Leuten ausrichten muss. Ich muss sofort damit anfangen. Ich habe nicht eine Stunde zu verlieren.«
    Lascelles runzelte die Stirn. »Sind Sie betrunken? Träumen Sie? Norrell hat Sie um nichts gebeten. Wenn er irgendwelche Aufgaben für Sie hätte, würde er sie Ihnen über mich auferlegen, und außerdem...«
    »Nicht Norrell. Strange!«
    Lascelles saß stocksteif auf seinem Pferd. Das Pferd tänzelte nervös, doch Lascelles bewegte sich kein bisschen. Dann sagte er mit einer ruhigeren, gefährlicheren Stimme: »Wovon um alles in der Welt sprechen Sie? Strange? Wie können Sie es wagen, mir gegenüber Strange zu erwähnen? Ich rate Ihnen, sehr sorgfältig nachzudenken, bevor Sie noch einmal sprechen. Ich bin bereits ernsthaft verstimmt. Ihre Anweisungen waren ziemlich deutlich, glaube ich. Sie sollten in Venedig bleiben, bis Strange abreist. Aber Sie sind hier. Und er ist dort.«
    »Ich konnte nichts dagegen tun. Ich musste abreisen. Ich habe ihn gesehen, und er hat mir befohlen...«
    Lascelles hob die Hand. »Ich habe nicht das Bedürfnis, diese Unterhaltung unter freiem Himmel fortzusetzen. Wir werden ein bisschen tiefer in den Wald hineingehen.«
    »In den Wald!« Das bisschen Farbe, das noch auf Drawlights Wangen übrig geblieben war, verblasste. »Oh nein! Um nichts in der Welt! Ich werde nicht in den Wald gehen! Bitten Sie mich nicht darum!«
    »Was meinen Sie?« Lascelles blickte sich um, und ihm schien etwas unbehaglicher zu Mute als zuvor. »Hat Strange die Bäume als Spione auf uns angesetzt?«
    »Nein, nein. Das ist es nicht. Ich kann es nicht erklären. Sie warten auf mich. Sie kennen mich. Ich kann dort nicht hineingehen.« Drawlight fehlten die Worte, um zu beschreiben, was mit ihm geschehen war. Er streckte die Arme einen Moment lang aus, als glaubte er, er könnte Lascelles die Flüsse zeigen, die sich um seine Füße geschlängelt hatten,

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