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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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das Erinnerungsvermögen Ihrer Lordschaft. Habe ich je Anlass zu der Annahme gegeben, ich würde Elfen oder ihren Zauber gutheißen? Habe ich sie nicht so oft wie möglich getadelt und verurteilt?«
    Zum ersten Mal schien das von Mr. Norrell Gesagte den Premierminister zu besänftigen. Er legte den Kopf ein wenig schief. »Aber wenn es nicht Ihr Werk ist, wessen Werk ist es dann?«
    Die Frage schien einen besonders empfindlichen Punkt in Mr. Norrells Seele zu berühren. Er stand da mit stierem Blick und einem Mund, der sich langsam öffnete und wieder schloss, und war gänzlich unfähig, etwas zu antworten.
    Lascelles hingegen hatte sich fest im Griff. Er hatte nicht die geringste Ahnung, um wessen Zauber es sich handelte, noch interessierte es ihn. Aber er wusste genau, mit welcher Antwort seinen und Mr. Norrells Interessen am besten gedient wäre. »Offen gestanden überrascht es mich, dass Ihre Lordschaft es für nötig befindet, diese Frage aufzuwerfen«, sagte er kühl. »Die Verderbtheit dieser Zauberei weist deutlich auf ihren Urheber. Es ist Strange.«
    »Strange!« Lord Liverpool blinzelte. »Aber Strange ist in Venedig!«
    »Mr. Norrell glaubt, dass Strange seine eigenen Wünsche nicht mehr beherrscht«, sagte Lascelles. »Er hat jede Menge bösartige Zauberei betrieben; er hat mit Geschöpfen verkehrt, die Feinde Großbritanniens, der Christenheit, ja der ganzen Menschheit sind! Diese Katastrophe mag eins seiner Experimente sein, das schief gegangen ist. Oder aber er hat es absichtlich getan. Ich fühle mich bestätigt, wenn ich Ihre Lordschaft daran erinnere, dass Mr. Norrell die Regierung bei mehreren Gelegenheiten vor der großen Gefahr für die Nation gewarnt hat, die von Stranges gegenwärtigen Forschungen ausgeht. Wir haben Ihrer Lordschaft dringende Botschaften zugesandt, aber wir haben keine Antwort erhalten. Zu unser aller großem Glück ist Mr. Norrell, was er immer war: standhaft, entschlossen und wachsam.« Während er sprach, fiel Lascelles' Blick auf Mr. Norrell, der im Moment ein Bild der Bestürzung, Niederlage und Machtlosigkeit abgab.
    Lord Liverpool wandte sich an Mr. Norrell. »Sehen Sie das genauso, Sir?«
    Mr. Norrell murmelte, in Gedanken versunken, immer wieder vor sich hin: »Es ist meine Schuld. Es ist meine Schuld.« Obwohl er zu sich selbst sprach, war es laut genug, dass alle anderen im Raum es ebenfalls hörten.
    Lascelles riss die Augen auf; doch augenblicklich hatte er sich wieder in der Gewalt. »Es ist nur zu verständlich, dass Sie jetzt so empfinden, Sir«, sagte er rasch. »Aber bald werden Sie merken, dass nichts der Wahrheit ferner liegt. Als Sie Mr. Strange in Zauberei unterrichtet haben, konnten Sie nicht wissen, dass es so enden würde. Niemand konnte es wissen.«
    Lord Liverpool wirkte bei diesem Versuch, Mr. Norrell als Opfer hinzustellen, mehr als nur ein bisschen verärgert. Über Jahre hinweg hatte Mr. Norrell sich als der wichtigste Zauberer in England dargestellt, und wenn in England Zauberei stattgefunden hatte, dann betrachtete Lord Liverpool ihn zumindest teilweise als dafür verantwortlich. »Ich frage Sie noch einmal, Mr. Norrell. Bitte antworten Sie mir klar. Glauben Sie, dass Strange das getan hat?«
    Mr. Norrell blickte abwechselnd jeden der Herren an. »Ja«, sagte er mit verängstigter Stimme.
    Lord Liverpool bedachte ihn mit einem langen strengen Blick. Dann sagte er: »Wir werden es in der Angelegenheit nicht hierbei belassen, Mr. Norrell. Aber ob es nun Strange ist oder nicht, so ist doch eines klar. Großbritannien hat bereits einen wahnsinnigen König; ein wahnsinniger Zauberer wäre mehr als genug. Sie haben wiederholt um Aufträge gebeten, nun, hier ist einer. Hindern Sie Ihren Schüler daran, nach England zurückzukehren!«
    »Aber...«, hob Mr. Norrell an. Dann fing er Lascelles' warnenden Blick auf und verstummte.
    Mr. Norrell und Lascelles kehrten an den Hanover Square zurück. Mr. Norrell begab sich umgehend in die Bibliothek. Childermass arbeitete wie zuvor am Schreibtisch.
    »Schnell!«, rief Mr. Norrell. »Ich brauche einen Zauber, der nicht mehr wirkt.«
    Childermass zuckte mit den Schultern. »Davon gibt es Tausende. Chauntlucet 161 ; die Rose des Dädalus 162 ; die Entkleideten Damen 163 ; Stokeseys Vitrifikation 164 ...«
    »Stokeseys Vitrifikation! Ja! Davon habe ich eine Beschreibung.«
    Mr. Norrell eilte an einen Bücherschrank und zog ein Buch heraus. Er suchte eine Seite, fand sie und blickte sich rasch im Raum um. Auf einem

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