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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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diesem Namen. Und trotzdem quasseln neuerdings alle von ihm. Sogar Norrell. Ich verstehe nicht, warum. Seine Stunde schlug vor vierhundert Jahren.«
    Wieder streckte Drawlight die Hand aus. »Geben Sie mir die Dose. Ich muss...«
    »Was zum Teufel ist los mit Ihnen? Begreifen Sie denn nicht? Ihre Botschaften werden nie übermittelt werden – außer die an Norrell, und die werde ich selbst ausrichten.«
    Jammergeheul brach aus Drawlight hervor. »Bitte, bitte! Bringen Sie mich nicht dazu, dass ich vor ihm versage. Sie begreifen es nicht. Er wird mich umbringen! Oder Schlimmeres!«
    Lascelles breitete die Arme aus und schaute sich um, als fordere er den Wald auf, zu bezeugen, wie lächerlich das alles war. »Nehmen Sie ernsthaft an, ich würde zulassen, dass Sie Norrell vernichten? Was bedeuten würde, dass Sie mich vernichten?«
    »Daran bin nicht ich schuld! Daran bin nicht ich schuld! Ich wage es nicht, ihm nicht zu gehorchen!«
    »Sie Wurm, was soll aus Ihnen zwischen zwei solchen Männern wie Strange und mir werden? Sie werden zerquetscht.«
    Drawlight gab ein leises Geräusch von sich, das wie ängstliches Gewinsel klang. Er warf Lascelles einen merkwürdigen verwirrten Blick zu. Er schien etwas sagen zu wollen. Dann drehte er sich überraschend behände um und lief zwischen den Bäumen davon.
    Lascelles machte sich nicht die Mühe, ihn zu verfolgen. Er hob einfach eine der Pistolen, zielte und schoss.
    Die Kugel traf Drawlight in den Oberschenkel und ließ für einen Augenblick eine rote nasse Blume aus Blut und Fleisch im weißgrauen Wald erblühen. Drawlight schrie und stürzte in ein Gestrüpp aus Dornbüschen. Er versuchte, fortzukriechen, doch sein Bein war völlig unbrauchbar, und überdies hatten die Dornen sich in seinen Kleidern verfangen; er konnte sich nicht von ihnen befreien. Er drehte sich nach Lascelles um, der auf ihn zukam; Angst und Schmerz entstellten sein Gesicht bis zur völligen Unkenntlichkeit.
    Lascelles schoss mit der zweiten Pistole.
    Drawlights linke Kopfhälfte platzte auf wie ein Ei oder eine Orange. Er zuckte ein paar Mal, und dann lag er reglos da.
    Obwohl niemand zu sehen war und obwohl ihm das Blut in den Ohren, in der Brust, im ganzen Körper pochte, ließ sich Lascelles die Aufregung kein bisschen anmerken: Das, so fand er, würde nicht dem Benehmen eines Gentleman entsprechen.
    Er hatte einen Kammerdiener, der sich mit großer Hingabe der Mordberichterstattung und den Hinrichtungen im Newgate Calendar und im Malefactor's Register widmete. Gelegentlich vergnügte sich Lascelles mit der Lektüre einer der Ausgaben. Auffallendes Kennzeichen dieser Geschichten war die Tatsache, dass der Mörder, wie unverfroren er auch immer den Mord beging, kurz darauf von Gefühlen überwältigt wurde, die ihn veranlassten, sich merkwürdig und irrational zu verhalten, was ihn stets ins Verderben riss. Lascelles glaubte nicht an den Wahrheitsgehalt dieser Berichte, doch um der Sicherheit willen forschte er in seinem Inneren nach Anzeichen von Reue oder Entsetzen. Er fand keine. Tatsächlich war sein deutlichster Gedanke, dass es nun ein hässliches Ding weniger auf der Welt gab. »Hätte er vor drei oder vier Jahren gewusst«, sagte er zu sich selbst, »dass es einmal so weit kommen würde, dann hätte er mich angefleht, es zu tun.«
    Ein Rascheln war zu hören. Zu seiner eigenen Überraschung sah Lascelles, wie ein kleiner Trieb aus Drawlights rechtem Auge (das linke war vom Pistolenschuss zerstört worden) spross. Efeuranken wanden sich um seinen Hals und seine Brust. Ein Stechpalmentrieb hatte sich durch seine Hand gebohrt; eine junge Birke war aus seinem Fuß geplatzt; ein Weißdorn hatte sich durch seinen Bauch gearbeitet. Drawlight sah aus, als sei er direkt auf dem Gehölz gekreuzigt worden. Doch die Bäume machten an diesem Punkt nicht Halt; sie wuchsen weiter. Ein Gewirr aus bronzefarbenen und roten Stängeln löschte sein zerstörtes Gesicht vollends aus, und seine Glieder und sein Rumpf verwesten, während Pflanzen und andere Lebewesen sich ihrer bemächtigten. Innerhalb kürzester Zeit war von Christopher Drawlight nichts mehr übrig. Die Bäume, die Steine und die Erde hatten ihn in sich aufgenommen, doch in ihrer Form konnte man noch etwas von dem Mann ahnen, der er einst gewesen war.
    »Der Dornbusch war sein Arm, glaube ich«, sann Lascelles nach. »Dieser Stein... vielleicht sein Herz? Er ist klein und hart genug.« Er lachte. »Das ist das Lächerliche an Stranges Zauberei«,

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