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Jonathan Strange & Mr. Norrell

Jonathan Strange & Mr. Norrell

Titel: Jonathan Strange & Mr. Norrell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Clarke
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Fenster. Ihr Rücken war ihm zugekehrt. Alles an ihr – Stuhl, Haltung, sogar die Falten in ihrem Kleid und ihrem Schultertuch – war genau so wie am Morgen, als er sie verlassen hatte.
    Kaum hatte er sein Studierzimmer betreten, setzte er sich und schrieb eine dringende Botschaft an Mr. Norrell.
    Mr. Norrell kam nicht sofort. Ein, zwei Stunden vergingen. Schließlich traf er mit einem Ausdruck unerschütterlicher Gelassenheit auf dem Gesicht ein. Sir Walter begrüßte ihn in der Eingangshalle und beschrieb, was geschehen war. Dann schlug er vor, hinauf in den venezianischen Salon zu gehen.
    »Oh«, sagte Mr. Norrell rasch, »aus dem, was Sie erzählen, schließe ich, dass wir Lady Pole nicht zu stören brauchen, denn ich fürchte, ich kann nichts für sie tun. So schwer es mir auch fällt, Ihnen diese Auskunft geben zu müssen, mein lieber Sir Walter -denn wie Sie wissen, bin ich Ihnen stets zu Diensten, wenn es in meiner Macht steht –, aber was immer es ist, was Ihre Ladyschaft bedrückt, ich glaube nicht, dass Zauberei es heilen kann.«
    Sir Walter seufzte. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und blickte unglücklich drein. »Mr. Baillie hat nichts gefunden, deswegen dachte ich...«
    »Es ist genau dieser Umstand, der mich so sicher macht, dass ich Ihnen nicht helfen kann. Magie und Medizin sind nicht immer so weit voneinander entfernt, wie Sie zu glauben scheinen. Ihre Sphären überschneiden sich. Eine Krankheit kann man mit Zauberei oder Arznei heilen. Wenn Ihre Ladyschaft wirklich krank wäre, oder wenn sie, Gott bewahre!, wieder sterben sollte, dann könnte man sie gewiss mit Zauberei heilen oder wiederauferwecken. Verzeihen Sie mir, Sir Walter, das, was Sie mir beschrieben haben, scheint mehr ein spirituelles Leiden als ein körperliches zu sein, und das fällt weder in den Bereich der Magie noch in den der Medizin. Ich bin in diesen Dingen kein Fachmann, aber vielleicht kann ein Geistlicher besser raten.«
    »Lord Castlereagh war der Ansicht – ich weiß nicht, ob er Recht hat –, Lord Castlereagh meinte, da Lady Pole ihr Leben der Zauberei verdankt – ich gestehe, dass ich ihn nicht ganz verstanden habe, aber ich glaube, er meinte, da das Leben Ihrer Ladyschaft auf Zauberei beruht, kann sie nur durch Zauberei geheilt werden.«
    »Wirklich? Das hat Lord Castlereagh gesagt? Da täuscht er sich gewaltig, aber mich fasziniert es, dass er so denkt. Früher nannte man das die Meraudische Häresie. 32 Im zwölften Jahrhundert widmete sich ein Abt von Rivaulx ihrer Ausmerzung und wurde später dafür heilig gesprochen. Die Theologie der Zauberei war allerdings nie eines meiner Lieblingsthemen, aber ich glaube, mich nicht zu irren, wenn ich behaupte, dass im neunundsechzigsten Kapitel von William Pantlers Drei vervollkommnungsfähige Zustände des Seins ... « 33
    Mr. Norrell schien zu einer seiner langen, langweiligen Reden über die Geschichte der englischen Zauberei ansetzen zu wollen, voller Bezüge zu Büchern, von denen noch nie jemand gehört hatte. Sir Walter unterbrach ihn. »Ja, ja. Aber haben Sie eine Ahnung, wer die Person mit dem grünen Rock und dem silbrigen Haar sein könnte?«
    »Oh«, sagte Mr. Norrell, »Sie glauben also, dass jemand da war? Das erscheint mir sehr unwahrscheinlich. Könnte es nicht so etwas wie ein Morgenrock gewesen sein, den ein nachlässiger Dienstbote an einem Haken hat hängen lassen? An einem Ort, an dem man nicht damit rechnet, einen Morgenrock zu sehen? Ich selbst habe mich oft erschrocken über die Perücke, die Sie jetzt auf meinem Kopf sehen. Lucas soll sie jeden Abend wegräumen – und das weiß er auch –, aber in letzter Zeit hat er sie mehrmals auf dem Perückenständer auf dem Kaminsims stehen lassen, wo sie sich in dem Spiegel darüber widerspiegelt, und das sieht nicht anders aus, als würden zwei Herren die Köpfe zusammenstecken und flüsternd über mich reden.«
    Mr. Norrell blinzelte Sir Walter mehrmals mit seinen kleinen Augen an. Da er bereits erklärt hatte, dass er nichts tun könne, wünschte er Sir Walter einen guten Abend und verließ das Haus.
    Mr. Norrell fuhr schnurstracks nach Hause. Kaum hatte er das Haus am Hanover Square betreten, begab er sich in das kleine Studierzimmer im zweiten Stock. Es war ein ruhiges Zimmer auf der Rückseite des Hauses, das auf den Garten hinausging. Die Dienstboten betraten es nie, wenn er sich in diesem Zimmer aufhielt, und sogar Childermass brauchte einen ungewöhnlich wichtigen Grund, wenn er ihn hier

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