Jonathan Strange & Mr. Norrell
meine Feinde angeht, Sir, so täuschen Sie sich«, fuhr er fort. »Ich habe keine.«
»Mein lieber Stephen«, rief der Herr höchst erheitert. »Natürlich haben Sie Feinde. Und Ihr größter Feind ist dieser böse Mann, der Ihr Herr und Lady Poles Gatte ist! Er zwingt Sie, sein Diener zu sein und Tag und Nacht seine Wünsche zu erfüllen. Er stellt Ihnen Aufgaben, die einer Person von Ihrer Schönheit und Vornehmheit gänzlich unangemessen sind. Und warum tut er das?«
»Ich nehme an, weil...«, setzte Stephen an.
»Genau!«, sagte der Herr triumphierend. »Weil er Sie im Übermaß seiner Boshaftigkeit gefangen und in Ketten gelegt hat und jetzt über Sie triumphiert, um Sie herumtanzt und ein boshaftes Gelächter ausstößt, weil er Sie in solcher Not sieht.«
Stephen öffnete den Mund, um zu erklären, dass Sir Walter Pole nichts davon getan hatte; dass er Stephen immer mit großer Freundlichkeit und Zuneigung behandelt hatte; dass Sir Walter, als er jünger gewesen war und es sich eigentlich nicht hatte leisten können, Geld gegeben hatte, damit Stephen die Schule besuchen konnte; und dass er später, als Sir Walter noch ärmer gewesen war, oft das Gleiche gegessen und vor demselben Feuer gesessen hatte wie Stephen. Und was den Triumph über seine Feinde anbelangte, hatte Stephen häufig beobachtet, dass Sir Walter selbstzufrieden grinste, wenn er meinte, einen Punkt gegen einen politischen Gegner gemacht zu haben, aber er hatte nie gesehen, dass Sir Walter herumgetanzt wäre oder ein boshaftes Gelächter ausgestoßen hätte. Stephen wollte all das sagen, als ihn das Wort »Ketten« wie eine Art lautloser Donnerschlag durchfuhr. Plötzlich sah er in seiner Phantasie einen dunklen Ort vor sich – einen schrecklichen Ort, einen grausamen Ort, einen heißen, stinkenden, eingezäunten Ort. In der Dunkelheit bewegten sich Schatten, und schwere Ketten klirrten und rasselten. Er hatte keine Ahnung, was dieses Bild bedeutete oder woher es stammte. Er glaubte nicht, dass es eine Erinnerung war. Er war doch bestimmt nie an einem solchen Ort gewesen?
»... Wenn er je herausfinden sollte, dass Sie und Lady Pole jede Nacht fliehen, um in meinem Haus glücklich zu sein, tja, er würde auf der Stelle einen Eifersuchtsanfall haben und, so glaube ich, versuchen, Sie beide umzubringen. Aber haben Sie keine Angst, mein lieber, lieber Stephen. Ich werde dafür sorgen, dass er es nie herausfinden wird. Oh, wie ich so selbstsüchtige Menschen hasse. Ich weiß, wie es ist, von den stolzen Engländern verachtet und geschnitten zu werden und Aufgaben erfüllen zu müssen, die unter unserer Würde sind. Ich ertrage es nicht, dass Ihnen das gleiche Schicksal zuteil wird.« Der Herr hielt inne, um mit seinen eisigen weißen Fingern Stephen liebevoll über Backe und Stirn zu streichen, was eine seltsame prickelnde Empfindung auf Stephens Haut auslöste. »Sie können sich nicht vorstellen, welch heißes Interesse ich an Ihnen habe und wie gewillt ich bin, Ihnen einen dauerhaften Dienst zu erweisen. Weswegen ich den Plan gefasst habe, Sie zum König eines Elfenreichs zu machen.«
»Ich ... ich bitte um Entschuldigung, Sir. Ich dachte an etwas anderes. König, sagen Sie? Nein, Sir. Ich kann kein König sein. Sie können so etwas nur aufgrund Ihrer großen Freundlichkeit für möglich halten. Außerdem befürchte ich, dass mir das Elfenland nicht zuträglich ist. Seitdem ich zum ersten Mal in Ihrem Haus war, bin ich stumpfsinnig und schwerfällig. Morgens, mittags und abends bin ich müde, und das Leben ist mir eine Last. Ich glaube wohl, dass es meine Schuld ist, aber vielleicht sind die Sterblichen nicht für elfische Glückseligkeit geschaffen?«
»Ach, das ist nur die Traurigkeit, die Sie verspüren angesichts der Trostlosigkeit von England, verglichen mit dem heiteren Leben, das Sie in meinem Haus führen, wo immer getanzt und gefeiert wird und alle ihre schönsten Kleider tragen.«
»Da haben Sie wohl Recht, Sir, aber wenn Sie die Güte haben würden, mich von diesem Zauber zu befreien, wäre ich Ihnen überaus dankbar.«
»Aber das geht nicht!«, erklärte der Herr. »Wissen Sie denn nicht, dass alle meine wunderschönen Schwestern und Cousinen -für die Könige einander getötet haben und große Reiche zerfallen sind – sich streiten, wer als Nächste mit Ihnen tanzen darf? Und was würden sie sagen, wenn ich ihnen erklären müsste, dass Sie nicht mehr nach Verlorene Hoffnung kommen? Denn neben meinen vielen anderen
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