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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 03 Der Fluss der Seelen
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Mallard?«
    Entchen wurde im Gesicht fast so rot wie die Erde. »Mallard«, sagte er. »Entchen ist ein Name für Kleinkinder.«
    Tanamil nickte und blickte wieder Robin an. »Deinen Namen kann ich erraten«, sagte er zu ihr. »Du musst auch nach einem Vogel heißen, nach einem bunten Vogel, der ein Vorbote ist. Robin?«
    Auch Robin wurde rot und nickte. Sie war so verwirrt, dass sie ganz vergaß, damenhaft zu sein. »Woher weißt du das?«
    Tanamil lachte. Er hatte ein sehr angenehmes Lachen, das gebe ich zu, es war sehr fröhlich und weckte den Wunsch mitzulachen. »Ich bin früher umhergezogen und habe Wissen gesammelt«, erklärte er. Dann blickte er wieder auf Gull und wurde ernst. »Und das war gut so«, sagte er. »Ihm bleibt nicht mehr viel Zeit.«
    Wir alle schauten Gull an und dachten, dass Tanamil übertreibe – bis wir bemerkten, wie sehr sich Gull selbst in dieser kurzen Zeit verändert hatte. Er war dünner und blasser denn je. Mit geschlossenen Augen lag er da und atmete so flach, dass wir es kaum noch sehen konnten. Sein Gesicht war eingefallen, und deutlich traten die Knochen des Schädels hervor und vereinten sich mit seinen ohnehin schon sehr ausgeprägten Jochbeinen. Er sah aus wie ein Totenkopf.
    Robin ergriff Tanamils Arm. Normalerweise hätte sie sich niemals zu so etwas hinreißen lassen; wir merkten daran, wie aufgewühlt sie war. »Was ist denn nun mit ihm los? Weißt du es?«
    Tanamil nahm die Augen nicht von Gull. »Ja«, sagte er. »Ich weiß es. Sie versuchen, ihm die Seele zu nehmen. Er hat lang und tapfer gegen sie angekämpft, aber sie gewinnen.«
    Hern erschauerte leicht. Er war wütend. Er ist immer wütend, wenn jemand so etwas sagt, aber ich hatte ihn noch nie so zornig erlebt. »Ach, tun sie das?«, fragte er. »Und wer sind diese sie, und was meinst du, wo sie sind?« Er war so wütend, dass er kaum sprechen konnte.
    Tanamil war nicht beleidigt. Er schien Hern zu verstehen. »Der, der sich deinen Bruder nun holt«, antwortete er, »ist ein mächtiger Mann, über den ich noch nichts weiß. Ich glaube, dass er irgendwo am Meer sitzt.«
    Hern schien nicht zu wissen, was er als Nächstes sagen sollte. »Gull spricht dauernd davon, dass er ans Meer müsse«, warf ich ein.
    »Dann möchte dieser Mann ihn dorthin holen«, sagte Tanamil. »Ich muss mich sofort ans Werk begeben. Wir müssen euren Bruder retten, ohne dass dieser Mächtige Verdacht schöpft. Versteht ihr?« Er blickte uns alle sehr ernst an. »Wenn euch das, was ich nun tun werde, seltsam vorkommt, so vergesst nicht, dass es nur zum Besten eures Bruders ist. Wollt ihr daran denken?«
    »Ja«, versprachen wir alle nickend, sogar Hern, von dem ich Einwände erwartet hatte. Obwohl Tanamil ein Heide war, hatten wir das Gefühl, wir könnten ihm trauen. Er schien so viel zu wissen.
    Er hieß uns aus dem Boot zu steigen und uns neben ihn in die Binsen zu stellen. Wir gehorchten willig und ließen Gull allein auf dem Boden des Bootes liegen. Tanamil hockte sich an den Wasserrand, wo er mit den Fingern im Boden stocherte und zwei Hände voll feuchter roter Erde heraushob. Gebannt beobachteten wir, wie er seinen Erdhaufen auf den trockenen Weg setzte und mit der Arbeit begann: Er knetete die Erde zusammen, bohrte mit den Fingern Löcher hinein, formte und glättete sie. Gelegentlich warf er einen Blick auf Gull, dann bearbeitete er weiter den Lehm. Bald schlich sich ein sarkastischer Ausdruck auf Herns Gesicht. Die Erde bildete eine menschenähnliche Figur, die Figur eines jungen Mannes, eine Figur, die wir erkannten.
    »Das wird Gull!«, wisperte Entchen mir aufgeregt zu. »Sieht sie nicht genauso aus wie er!«
    Sie ähnelte ihm sehr. Ich habe sie vor mir, während ich dies webe. Die Figur gleicht Gull wie aus dem Gesicht geschnitten, nur dass sie nicht so mager aussieht wie er, als er im Boot lag. Das Erstaunliche daran ist, dass Tanamil den Gull eingefangen hat, den er nicht gekannt haben kann – den Gull von früher, der lachte und damit prahlte, in den Krieg zu ziehen, und der pfeifend am Strom entlangschlenderte, weil er das Leben liebte. Ich erinnere mich noch gut an diesen Gull – der immer bereit war, andere zu necken –, aber woher soll Tanamil von diesem Gull gewusst haben?
    Als Tanamil die Figur fertig hatte, machte er es sich zwischen den Binsen bequem und sagte: »Ihr könnt euch setzen, wenn ihr möchtet.« Nur Hern leistete seiner Aufforderung Folge, wir Übrigen blieben stehen und betrachteten ihn unschlüssig.

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