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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 03 Der Fluss der Seelen
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bringen, so weiß ich, dass ich die weit bessere Weberin bin.
    Während ich meine Fäden einspannte, fühlte ich mich sehr rachedurstig und großtuerisch. Ich wollte Zwitt verfluchen, unseren König ernsthaft und mutig weben und beschreiben, wie Kankredin und sein Netz im Meer versinken. Darum flocht ich auch noch meinen Wunsch ein, ich könnte den Leuten von Iglingen Füße anhexen, die nach hinten zeigen. Ich bin sehr erleichtert, wenn ich über den Strom blicke und sehe, und dass ihre Zehen noch immer vorn sind. Ich kenne den Grund. Ich bin wie Hern. Ich muss verstehen, was ich tue. Wenn ich erst meine Einsicht in den Mantel gewoben habe, dann besitzt Kankredin Anlass, sich zu fürchten.
    Vorher aber muss ich Folgendes begreifen: Weshalb ist Gulls Seele von solch besonderem Wert? Warum ist Robin so krank? Und was ist der Eine? Diese wichtigen Fragen sind ausnahmslos an unbedeutende gebunden, so zum Beispiel, was Hern, Entchen und ich den Unvergänglichen zu tun geschworen haben. Die Antworten liegen alle in meinem ersten Wollmantel, und während ich webe, werden sie mir klar.
    Robin scheint heute Abend ruhiger. Bevor ich meinen Wollmantel las, hätte ich ihre große Furcht wegen des Magiers auf ihre Krankheit geschoben. Sie hat Kankredin nicht gesehen, und viel haben wir ihr nicht erzählt. Nun aber bin ich mir sicher, dass Robin manches weiß, von dem wir Übrigen nichts ahnen. Das Wissen ist ihr Geburtsrecht, wie das Weben das meinige ist.
    Alles kann ich weben, und doch werde ich zornig, wenn Onkel Falk mir sagt, wir hätten in Iglingen die Leute beleidigt! Sehr vernünftig ist das nicht. Ich lese meinen Wollmantel und erinnere mich und weiß, dass wir alle einschließlich Gull, der von uns am bescheidensten ist, uns fühlten und benahmen, als wären wir jemand Besonderes. Das sind wir nun wohl auch. Damals aber hatten wir ganz eindeutig keinen Grund, so etwas anzunehmen. Es war nicht recht von mir, mich zu erhöhen. Ich schäme mich. Fast möchte ich mich entschuldigen nur nicht bei Zwitt und Tante Zara.
    Hier habe ich unterbrochen, um die Lampe zu entzünden. Robin schien zu schlafen, das kerzengelbe Gesicht der Wand zugewandt. Ich schloss die Tür vor dem Strom und las den ersten Mantel noch einmal. Nun mache ich mir keine Vorwürfe mehr, was den Einen betrifft. Ich sehe ihn verschlagen in seinem Feuer hocken und dafür sorgen, dass ich in Robins Kleid vor Kankredin erscheine, damit der Magier der Magier glaubt, ich wäre als Weberin nicht ernst zu nehmen. Ich glaube, er hat es auch darauf angelegt, dass ich ihn unserem König preisgebe und dass wir vor Kars Adon gerufen werden; welchem Zweck diese Begegnung aber diente, kann ich noch nicht sagen. Im Rückblick erscheint es mir sogar möglich, dass der Eine Kankredins Macht über Gull ausnutzte, um uns zur Strommündung zu führen. Und ich bin sicher, dass Tanamil uns mit Vorbedacht so lange aufgehalten hat, damit wir erst dort eintrafen, als das Hochwasser zu sinken begann.
    Gleich nach der Stelle, wo wir zum ersten Mal die Gezeit bemerkten, sah ich mir sehr genau meine Schilderung des Heidenmädchens auf dem Dach an. Mir fiel auf, dass Robin schon da nicht ganz sie selbst gewesen ist. Ich berichte euch kaum ein Zehntel dessen, was wir alles redeten – wenn ich alles weben würde, was Entchen und ich gesagt haben, dann wäre mein Wollmantel selbst einem Riesen zu groß –, aber Robin sagt nur ein Zehntel davon. Bei diesem Heidenmädchen … ich hatte ausgelassen, was sie am Leibe trug. Ich sprang auf, um Hern danach zu fragen.
    Das Türschloss klickte, und Jay kam herein. »Meine Güte!«, rief er. »Das ist ja ein wunderschöner Mantel, Mädchen. Wer ist der Glückliche, für den du ihn webst?«
    Ich antwortete, ich hätte ihn nur gemacht, um mich von Robin abzulenken. Das war nicht gelogen.
    Jay warf einen Blick aufs Bett und sah, dass Robin schlief. Er senkte den Kopf unter den Lampenschein und flüsterte: »Was glaubst du, wann es ihr wieder gut geht?« Er hatte das Gesicht auffällig verzogen, ohne dass ich seine Miene zu deuten wussten. Ich schwieg und versuchte, nicht auf seinen umherflitzenden Armstumpf zu starren. Jay beugte sich noch näher und fragte: »Wann geht es ihr gut genug, um auf die Werbung eines ehrenwerten Mannes mit einem Arm zu hören? Ich glaube, sie mag mich gut genug leiden, und ich möchte mir ihrer sicher sein, bevor es zu spät ist. Verstehst du mich?«
    Ich wusste nicht, wie ich ihm sagen sollte, was Robin von ihm hielt.

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