Jones, Diana Wynne
eingebildet, weil ich gerade von den Möwen auf Schätzchens Insel gelesen hatte.
Im nächsten Augenblick sprang Schätzchen selbst die Leiter hinab, die ins Obergeschoss führte. Katzen kommen oft herbei, wenn man an sie denkt; es ist eigenartig, aber so sind sie. Schätzchen brachte eine Maus und sprang auf Robins Bett, um sie meiner Schwester zu schenken.
Ich wusste, was Robin davon halten würde, wenn sie aufwachte. Ich erhob mich, um die Maus fortzuschaffen. Und gerade, als ich mich aufrichtete, entdeckte ich etwas am anderen Ufer des Stroms, unmittelbar unterhalb des letzten Hauses in Iglingen: Ich sah Zwitt, der dort in dem kleinen Hagedorngebüsch hockte – der Mai ist schon vorüber. Ein anderer Mann trat verstohlen zu ihm, als wolle er ihn heimlich treffen. Dieser andere hatte sein helles Haar dunkel gefärbt und trug darüber hinaus einen auffallenden Wollmantel als Verkleidung – ich habe selten eine minderwertigere Arbeit gesehen –, aber an seinem malvenfarbenen spitzen Gesicht und dem verzogenen Mund erkannte ich ihn: Es war Kankredins Magier, der mit dem Schleichenden Tod auf dem Gewand. Ich sah sogar das Gewand, es schaute unter dem schrecklichen Wollmantel hervor.
Ich wagte mich nicht zu rühren, während er mit Zwitt sprach. Bevor ich die beiden entdeckte, hatte ich das dunkle Zimmer zur Hälfte durchquert. Und mein Mantel lag in der Türöffnung ausgebreitet, beschienen vom hellen Licht über dem Strom. Zwitt nickte, redete eifrig und deutete genau auf unsere Mühle. Er verriet Schleichendem Tod, wo wir waren.
»Tanaqui«, rief Robin gereizt. »Schätzchen hat mir schon wieder eine Maus ins Bett gelegt.«
»Pst!«, machte ich. »Das tut sie nur, weil sie dich mag.«
»Nimm sie weg«, befahl Robin. »Nimm sie weg!«
»Bitte halt den Mund«, wisperte ich. »Etwas Schreckliches ist geschehen.«
Der Magier drehte sein verzerrtes Gesicht zur Mühle und entdeckte meinen Wollmantel. Ich sah, wie sich seine Miene änderte. Stierend beugte er sich näher, als versuche er, den Mantel zu lesen. Da er ein Magier war, las er ihn vielleicht wirklich, die Augen wie eine Schnecke an zwei unsichtbaren Stielen. Am liebsten hätte ich ihm den Mantel weggezogen, ich fürchtete mich aber zu sehr, von ihm entdeckt zu werden. Hilflos stand ich auf den Fleck gebannt. Robin, die auch krank keine Närrin ist, lag schweigend da und musterte mich ebenso bang, wie ich über den Strom hinwegstarrte. Endlich wandte der Magier sich stromabwärts, und Zwitt kehrte nach Iglingen zurück. Ich raffte meinen Wollmantel zusammen und versteckte ihn unter Robins Bett, bis ich ihn irgendwo anders zu Ende lesen könnte.
Dann berichtete ich meiner Schwester, was geschehen war. Wegen der Furcht, in die Robin verfiel, hätte ich zu gern einen Fluch auf Zwitt gelegt. Sie sagte, wir müssten auf der Stelle fliehen. Sie stand auf und brach zusammen. Ich rief nach Entchen, und zum Glück stürzte auch Hern herbei. Mit vereinten Kräften brachten wir sie wieder ins Bett.
Wir alle haben große Angst. Wir wissen zwar, dass wir dem König am besten melden sollten, der Eine habe gesagt, wir müssten aufbrechen, aber wir fürchten, dass Robin stirbt, wenn wir Weiterreisen. Entchen weist darauf hin, dass Robins Seele in Kankredins Netz geraten würde, und das wäre genauso schlimm, als hätte er Gull gefangen. Darum sind wir ratlos. Entchen und Hern haben die letzten drei Tage Wache gehalten, doch der Magier ist nicht wieder aufgetaucht. Wir glauben, dass er zu Kankredin unterwegs ist. Hern meint, wir hätten etwa sieben Tage Zeit. Bis dahin muss ich Robin geheilt haben. Ich glaube, ich weiß auch schon, wie ich das anstellen soll.
Kaum lag sie wieder im Bett, als ich neue Kettenfäden auf meinem Webstuhl einspannte. Ich begann deshalb damit, weil ich etwas begriffen hatte, als den Magier beim Anblick meiner Webarbeit sichtlich die Furcht packte. Wenn Magier etwas weben, wird das, was sie weben, zur Wirklichkeit. Darum liest man auf seinem Gewand vom Schleichenden Tod. Dieser Tod, wem auch immer er gesandt wurde, besteht aus den gleichen Worten, die damit prahlen. Bei Kankredins Gewand ist es genau das Gleiche. Der Strom ist gebunden, Gulls Seele schwebt in Gefahr und das Seelennetz ist aufgespannt, weil Kankredin diese Worte in sein Gewand gewebt hat.
Auch meine Webarbeit besitzt Macht, da bin ich mir ganz sicher. Wenn ich meine kunstvollen, engen Maschen mit dem weit ausholenden und rohen Gesticke vergleiche, das die Magier zustande
Weitere Kostenlose Bücher