Jones, Diana Wynne
allein mit dir sprechen, Mutter?«, fragte ich.
»Ich hoffte, dass du mich das fragen würdest«, sagte meine Mutter.
»Ich möchte auch mit dir sprechen«, beschwerte sich Entchen.
»Nein, Entchen«, erwiderte Mutter. »Du gehst und machst Robins Bett. Es rutscht alles zu Boden. Es wird höchste Zeit, dass du ein wenig mithilfst, anstatt Tanaqui die ganze Arbeit zu überlassen. Du hast schon stundenlang mit mir gesprochen.«
»Aber nicht richtig. Du warst nicht richtig da«, entgegnete Entchen. »Das zählt nicht.«
»O doch, es zählt.« Meine Mutter kann sehr bestimmend sein. Es hätte Entchen sehr gut getan, wenn sie länger bei uns geblieben wäre. Hern grinste, weil er das Gleiche dachte. »Du bleibst hier, Hern«, sagte sie. »Mit dir möchte ich reden, wenn ich mit Tanaqui gesprochen habe.« Dann ging sie zur Stromtür zurück und streckte die Hand nach mir aus. Auf dem Weg blieb sie an meinem Webstuhl und beim rosafarbenen Ton-Gull stehen. Lächelnd legte sie ihm die Hand auf die Wange. Nun, ich hatte die Lampe oben gelassen, und an Robins Bett stand nur eine flackernde Kerze, darum kann ich es nicht beschwören, aber ich glaube, die kleine Figur lächelte. »Komm mit«, forderte Mutter mich auf.
Ich hielt an der Schwelle zum Strom inne. »Wohin?«
»Dummchen«, sagte meine Mutter, »ich halte doch deine Hand.«
Wir traten auf den Strom hinaus – glaube ich. Doch alles wird so eigenartig, wenn man bei den Unvergänglichen ist. Ein Mond stand am Himmel, und grünes Licht waberte über und unter uns durch die Bäume. Ich weiß nicht, ob ich auf oder unter dem Wasser gewandelt bin oder irgendwo ganz woanders. Gewiss aber hat niemand uns gesehen. Ich erinnere mich aber noch, auf einer Seite das trüb erhellte Rechteck der Mühlentür gesehen zu haben, während wir redeten, und die Lichter Iglingens auf der anderen.
»Du hast also endlich doch nachgedacht, Tanaqui«, sagte meine Mutter. »Ich nehme an, du kannst dir nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt habe, während ich dir beim Weben zusah und die ganze Zeit über inbrünstig versuchte, dich mit Willenskraft zu zwingen, mit den Selbstvorwürfen aufzuhören und endlich anzufangen, deinen Kopf zu gebrauchen. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben. Ich sagte mir immer wieder, dass du auf deinem Mantel so viel vom Strom erzähltest. Vielleicht hätte das schon genügt.«
»War es wichtig, vom Strom zu erzählen?«, fragte ich.
»O ja«, sagte meine Mutter. »Das aber hängt mit den Dingen zusammen, über die zu reden mir verboten wurde, als ich deinen Vater heiratete. Du musst sehr behutsam sein mit dem, was du mich fragst, Tanaqui.«
Ich hatte schon angenommen, dass einiges verboten sein würde. Redselig war mein Vater nie, doch wenn es ihm gestattet gewesen wäre, hätte er uns gewiss manches erklärt. Ich richtete mich darauf ein, gewitzte Fragen zu stellen. »Weißt du von Kankredin?«, begann ich.
»O ja«, sagte sie. »Ich war mit euch bei ihm. Der Magier Schleichender Tod hat ihn heute Abend erreicht. Ihr müsst rasch handeln, ihr alle.«
»Das wissen wir«, erklärte ich. »Darfst du mir sagen, ob Tanamil mit uns verwandt ist? Sein Name bedeutet Jüngerer Strom, nicht wahr?«
»Er ist kein Verwandter. Er steht für sich«, sagte Mutter zu meiner großen Erleichterung. »Ihr habt ihn deshalb in Obhut, weil er zur gleichen Zeit gebunden wurde wie mein Vater. Seinen Namen trägt er, weil er den jüngeren Strom erschuf – noch unwilliger als dein Großvater diesen hier erzeugte.«
»Das ist gut«, sagte ich. »Ich hatte schon Angst, er würde sich als unser Onkel erweisen. Ich glaube, Robin ist in ihn verliebt.«
»Das glaube ich auch«, entgegnete meine Mutter trocken. »Scheint in der Familie zu liegen.«
»Kannst du mir sagen, wie ich ihn rufe?«, fragte ich als Nächstes. »Muss ich dazu zum Wässerkuss reisen?«
»Jeder Zulauf des Stromes genügt«, erklärte sie mir. »Aber es besteht kein Grund, dass du derart brüllst wie neulich.«
Ihr Tadel beschämte mich ein wenig, aber nicht sehr. Ich war zu erfreut und viel zu glücklich, wieder eine Mutter zu haben. Ich lehnte mich an sie. Sie war warm und fest und roch ganz schwach nach Tanaqui-Binsen. »Ich darf nicht nach den Unvergänglichen fragen«, sagte ich, als redete ich mit mir selbst, »und das bedeutet, dass ich nicht fragen darf, ob der Eine mein Großvater ist. Aber das weiß ich ja. Mutter ist seine Tochter. Sind wir…?«
Mutter lachte leise. Es klang wie Wasser,
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