Jones, Diana Wynne
Rechtsgelehrten! Du!«, schrie sie Mitt an. »Du in der Aberather Montur! Bring das arme Mädchen zu mir!«
Bevor Mitt sich rühren konnte, zerrte Rith schon Gräfin mitsamt Fenna zu den Treppenstufen. Im Zickzack wand er sich zwischen den Tischen durch und rief: »Tante! Tante! Hier bin ich! Ich bin hier, und ich habe mein Zeichen gefunden!«
Bei diesen Worten stob Frau Eltruda die Stufen hinunter und schrie: »Noreth, mein Täubchen! Noreth!«, und schlang die Arme um Rith.
Mitt starrte sie entgeistert an. Er fühlte sich schrecklich.
3.
Überraschend schnell löste der Tumult sich auf. Mitt hatte seinen Auftrag fast erledigt und begann sich zu fragen, was er nun eigentlich unternehmen sollte, als Navis ihm eine Hand auf die Schulter legte.
»Komm mit in mein Zimmer«, sagte er. »Erzähl mir dort, was es Neues gibt.«
Eigenartig, dachte Mitt, während er mit leicht gesenktem Kopf in Navis’ kühles, ausdrucksvolles Gesicht blickte. Ich wusste gar nicht mehr, dass er so klein ist. »Würde ich gern, wenn ich noch laufen könnte«, entgegnete er.
Navis lächelte ein wenig. »Es ist nicht weit. Tragen kann ich dich aber nicht mehr.«
Er wandte sich um und ging voran. Mitt humpelte ihm murrend hinterher. »Ich kann sehr wohl reiten! Ich bin nur noch nie einen ganzen Tag am Stück im Sattel gesessen!« Sie durchquerten die Halle, die groß war, im Vergleich zu der Halle in Aberath aber ein wenig kleiner und düsterer, und stiegen eine schmale Treppe hoch. Navis’ Zimmer war behaglich und hatte vertäfelte Wände. Es hätte auch Alk gehören können, so komfortabel war es eingerichtet. Typisch, dachte Mitt. Er muss sehr gut mit Baron Stair stehen. »Woher willst du wissen, dass ich dir etwas zu erzählen habe?«
»Sei einen Augenblick lang still«, sagte Navis. Zwei Diener traten ein. Mit breitem Grinsen brachten sie eine große Schüssel mit etwas Saurem, stark Riechendem. Sie stellten sie dort ab, wohin Navis wies; sie bewegten sich langsam, als warteten sie auf irgendeinen Scherz. »Ich danke euch«, sagte Navis, »aber wir würden nun gern allein sein.«
»Was ist das?«, fragte Mitt misstrauisch, während die Diener gingen. Sie grinsten noch immer.
»Essig«, antwortete Navis. »Zieh dein Leder aus und setz dich hinein. Mach schon. Es hilft.«
Mit bösen Befürchtungen tat Mitt, was Navis sagte, und setzte sich in die Schüssel. Im nächsten Augenblick schrie er auf. Er versuchte herauszuspringen, doch Navis hielt ihn mit unerwartet kräftiger Hand fest. Essig schwappte auf die Teppiche, und Mitt brüllte weiter, obwohl er wusste, dass die beiden Diener vor der Tür hockten und sich an jedem Schrei ergötzten. »Lodernder Ammet!«, ächzte er. »Willst du mich zu Tode quälen?«
»Nein«, sagte Navis. Er ließ Mitt nicht los, bis dessen Schreie sich erst zu Keuchen und dann zu einem elenden Schnaufen mäßigten. Dann aber gab er ihn frei und ging zur halb offenen Tür. »Das wäre alles«, sagte er und schloss sie.
Mitt hörte, wie sich Schritte entfernten. »Kann ich jetzt wieder raus?«
»Je länger du drin bleibst, desto eher wirst du wieder reiten können. Sag mir, was du an Neuigkeiten hast, dann kommst du auf andere Gedanken.«
Mitt lag die Entgegnung auf der Zunge, Navis sei so schlimm wie Graf Keril, doch er verbiss es sich, denn er begriff unversehens, dass es stimmte. Auf seine Weise konnte Navis genauso rücksichtslos sein wie Keril. Da kommt das Blut der Grafen durch!, dachte Mitt. Er überlegte noch, ob er Navis überhaupt etwas sagen könne, als Navis hinzufügte: »Ohne einen triftigen Grund haben sie dir doch bestimmt nicht erlaubt, Aberath zu verlassen?« Trotz seiner Kühle schwang in seinen Worten eine sehr starke Verbitterung mit.
Er fühlt sich genauso gefangen wie ich!, begriff Mitt. »Nun, bevor ich anfange, weißt du, wo Hildi ist?«
»In Auental«, sagte Navis. »Aber nach dem einen Brief, den zu schreiben sie so gütig war, frage ich mich schon, ob sie nicht vielleicht auf dem Mond lebt.«
»So einen habe ich auch bekommen«, rief Mitt. »Was für ein Kauderwelsch! Und Ynen? Weißt du vielleicht, wo Ynen ist?«
»Nein«, sagte Navis. Ein kühles Schweigen folgte, dann fuhr er fort: »Nein. Niemand befand es für nötig, mir das zu sagen. Schicken sie dich deswegen zu mir? Um mir zu drohen?«
»Das könnte dazugehören«, räumte Mitt ein. »Sie rechnen wohl damit, dass ich dir davon erzähle. Navis, ich soll das Mädchen namens Noreth für sie töten. Und ich
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