Jones, Diana Wynne
Rith, dass er sich solche Gedanken darüber machte. Während der nächsten Stunden sprach Rith ununterbrochen von dem unfassbaren Zufall, der sie gerade an diese Stelle geführt habe, oder fragte Mitt, ob es ihm wirklich nichts ausmache, auf seinen Anteil warten zu müssen. »Ohne diesen Erdrutsch«, sagte er, »wären wir niemals hier entlang geritten. Hör mal, bist du dir auch ganz sicher?«
Mitt antwortete zusehends barscher auf Riths Fragerei. Seine Lederhose war durchnässt und rieb sich auf seinen wunden Stellen, bis es ihm vorkam, als würde ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen werden. Davon abgesehen, dachte er ärgerlich, würde er in nächster Zeit wohl kaum Verwendung für Gold oder sonst irgendetwas haben; dazu war er zu tief in die Ränke der Adligen verstrickt. Er wünschte, Rith hielte endlich den Mund. Am späten Nachmittag, als im Norden wieder das blaue, klare Meer in Sicht kam, musste Mitt sich eisern zügeln, sonst hätte er Rith angebrüllt; vielleicht wäre es sogar so weit gekommen, hätten sie sich nicht auf einer vorgelagerten Anhöhe befunden, die Adenmund überblickte, und entdeckt, dass sich unter ihnen ein Unfall ereignet hatte.
Auf der Brücke war der Wagen eines Barden umgekippt. Die Brücke besaß kein Geländer, und das Pferd, das den Wagen gezogen hatte, hing strampelnd am Geschirr im Fluss. Jemand zerrte an dem Tier, ohne etwas auszurichten. Am Ufer lag reglos ein Mädchen, als sei es tot.
»Komm!«, rief Rith und trieb sein zottiges Pferd den Hang hinab, als wolle er selbst ebenfalls im Fluss enden.
Mitt folgte ihm so rasch, wie Gräfin es ihm erlaubte, und das war nicht sehr schnell. Der Hang war außerordentlich steil. Selbst Rith verlangsamte auf halber Höhe seine Geschwindigkeit, aber vermutlich nur, weil noch andere Helfer nahten. Seitwärts erblickten sie ein lang gestrecktes grünes Tal, und von einem der Bauernhöfe dort eilten mehrere Leute herbei. Über eine zweite Brücke näherten sich aus Adenmund selbst noch mehr Menschen, und vor ihnen galoppierte ein anderer Reiter näher.
Alles strömte an der Brücke zusammen, aber der Reiter kam als Erster an. Er trug die Montur eines Adenmunder Gefolgsmanns. Während Gräfin langsam das letzte Stück herabschlitterte, sprang der Reiter ab, drückte dem rothaarigen Lehrbuben des Barden die Zügel in die Hand und eilte zu dem strampelnden Pferd. Er warf nur einen Blick darauf, dann zog er die Pistole, spannte den Hahn und schoss dem Tier in den Kopf.
Mitt und Rith erreichten die Brücke, während das Pferd noch zuckte. Der Knall dröhnte Mitt in die Ohren wie die Erinnerung an seine schlimmsten Albträume. In dem weißen Gesicht des Bardenjungen mit den großen Augen fand Mitt das Spiegelbild seines eigenen Entsetzens.
»Können wir etwas tun?«, fragte Rith.
Der Gefolgsmann hatte ein Messer gezückt und begonnen, die Riemen zu durchtrennen, die das tote Pferd am Wagen hielten, und wandte sich kurz zu ihnen um. Mitt hätte fast aufgelacht. Es war Navis. Wer sonst? »Hallo«, sagte Mitt.
Navis nickte ihm auf seine kühle Art zu. »Kümmere dich um das Mädchen«, sagte er zu Rith. »Ich glaube, sie lebt noch. Mitt, hilf du mir, das Pferd loszuschneiden.«
Während sie abstiegen, bemerkte Mitt den Barden, der am Ufer damit beschäftigt war, die Musikinstrumente aus dem umgestürzten Wagen auszuladen und behutsam nebeneinander zu legen. Es war ein verträumt aussehender Mann mit grauem Bart. Mitt glaubte, dass er wohl keine Hilfe sein würde, und beachtete ihn nicht mehr. Er hinkte zu Navis, während Rith zu dem Bardenmädchen eilte, die sich gerade aufsetzte und dabei ihren Kopf hielt.
»Hol dein Messer raus und schneide erst hier, dann hier«, sagte Navis. Er wirkte in keiner Weise überrascht, Mitt zu begegnen. Seine Aufmerksamkeit galt vor allem dem Bardenjungen mit dem anklagenden weißlichgelben Gesicht. »Euer Pferd hatte sich zwei Beine gebrochen – sieh doch nur«, sagte er. »Ihm war nicht mehr zu helfen.«
»Er war auf einem Auge blind«, sagte der Bardenjunge. »Er ist einfach von der Brücke runtergelaufen.«
»Ich wünschte, meins würde das auch tun!«, rief Mitt, um ihn aufzuheitern. »Meins ist ein wirklich übler Bursche.«
Der Junge starrte ihn nur an. »Südländer«, sagte er. »Ihr seid beide Südländer.« Er kehrte ihnen den Rücken zu und führte Navis’ Pferd auf die andere Straßenseite.
Navis warf Mitt einen Blick zu. »Man trifft auf viele Vorurteile«, sagte er. »Schneide diesen
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