Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jones, Susanna

Jones, Susanna

Titel: Jones, Susanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Erde bebt
Vom Netzwerk:
Schoß. Er sah mit einem Auge zu mir auf, während ich ihm über das Haar strich. Das andere Auge war gegen meinen Oberschenkel gequetscht. Er streckte einen Arm aus und tastete auf dem Boden nach seiner Kamera. Seine Finger berührten sie. Er hob sie auf, sah, ohne den Kopf zu bewegen, durch den Sucher zu mir hinauf, drückte auf den silbernen Knopf, lächelte mich an. Er hängte sich die Kamera um den Hals, da, wo sie hingehörte. Ich beugte mich hinunter und küsste ihn.
    Aber Lilys Worte gingen mir nicht aus dem Sinn, und ich schaffte es nicht, mich zu zwingen, sie nicht zur Sprache zu bringen.
    «Teiji, warum machst du so viele Fotos? Du verkaufet sie nicht. Du hängst sie nicht mal bei dir auf.»
    Einen Augenblick lang schwieg er. Dann: «Gefallen sie dir nicht? Ich versuche, dir solche zu schenken, von denen ich glaube, dass sie dir gefallen könnten.»
    Langsam kehrt Teijis Stimme wieder zurück, leise, aber doch hörbar.
    «Doch, danke, tun sie. Aber du hast so viel mehr davon. Ich verstehe nicht, warum.»
    «Ich mache sie einfach. Es ist eine Angewohnheit.»
    «Aber einen tieferen Sinn hat das nicht?»
    «Ich sammle sie.»
    «Wozu?»
    «Für meine Sammlung.»
    «Teiji, was ist deine Sammlung?»
    «Alle meine Fotos.»
    Er setzte sich jetzt um, hinter mich, die Beine um meine geschlungen. Die Kamera schwang nach vorn und schlug mir an den Hinterkopf.
    «Möchtest du, dass ich aufhöre zu fotografieren?»
    «Nein.» Ich wünschte, ich hätte nicht damit angefangen. Verdammte Lily, die mich dazu brachte, genau die Sache in Frage zu stellen, die mich zu Teiji hingezogen hatte. Er hatte keine Antworten für mich parat. Das wusste ich schon.
    «Denn das würde ich nicht tun.»
    «Ich weiß.»
    «Warum reden wir eigentlich darüber?»
    «Ich will ganz bestimmt nicht, dass du aufhörst zu fotografieren. Ich frage mich einfach, warum du nicht versuchst, etwas mit den Bildern anzufangen.»
    «Zum Beispiel?»
    «Ich weiß nicht. Sie beispielsweise zu verkaufen.»
    «Das hab ich nicht nötig. Wenn ich das Geld bräuchte, würde ich sie verkaufen, aber ich brauche keins, weil ich einen guten Job habe, mit dem ich genug verdiene.»
    Eine Stunde später stürzte Teiji los, um die Nachtschicht im Restaurant zu übernehmen. Ich saß da und kam mir etwas blöd vor, ein so idiotisches Gespräch angefangen zu haben. Aber irgendetwas störte mich noch, und das waren nicht lediglich Lilys Bemerkungen darüber, was Teiji mit seinen Bildern anfangen oder nicht anfangen sollte. Es war der Gedanke an diese zwei Kartons in seiner Wohnung. Stapelweise Fotos, die Jahre seines Lebens nacherzählten, vielleicht schon seit seiner
    allerersten Kamera. Er hatte mir noch nie welche davon gezeigt. Ich verstand nicht, warum, und ich konnte nicht aufhören, mich nach dem Grund zu fragen. Manchmal schenkte er mir Fotos, auf denen Lucy zu sehen war, aber nichts aus der Zeit vor Lucy. Ich wusste so wenig über Teiji.
    Was wusste ich überhaupt ? Ich wusste, welches Schicksal Teiji sowohl zur Fotografie als auch zum Nudellokal geführt hatte. Ich wusste bestimmte Fakten über ihn. Er war in der Nähe von Kagoshima aufgewachsen, am Südzipfel von Kyushu, der südlichsten der vier Hauptinseln Japans. Er wurde im Schatten des Sakurajima geboren, eines tätigen Vulkans auf einer eigenen Insel, der dunklen Rauch und bei Nacht ein tiefes Grollen ausstieß, wie eine ferne Autobahn. Bis er neun war, glaubte er, es sei normal für Berge, sich so zu verhalten, und wünschte sich nichts anderes, als eines Tages einen prachtvollen Ausbruch zu erleben. Bis dahin verbrachte er seine Tage damit, dass er auf einem alten Fahrrad durch die Gegend flitzte. Seine Mutter gab ihm für mittags einen Imbiss mit. Sie presste heißen Reis zu dicken Dreiecken, drückte ihnen je eine saure Pflaume in die Mitte hinein und bedeckte sie mit dunklem Tang. Sobald sie abgekühlt waren, stopfte er sie sich in die Taschen und radelte los, raste die Landstraßen lang, hierhin und dorthin, aber ohne die Vulkaninsel je lange aus dem Blickfeld zu verlieren. Zur Feier seines ersten Tags auf der Mittelschule bekam er von seinem Vater einen alten Fotoapparat geschenkt Teiji nahm ihn auf seinen ausgedehnten Radtouren mit. Er hing ihm am Riemen um den Hals und hüpfte beim Fahren auf und ab. Teiji fotografierte den Vulkan aus jeder Perspektive.
    Sein anderes Lieblingsmotiv war Wasser. Er ging ans Meer, zog sich die Schuhe aus und watete am Ufer entlang. Teiji schaffte es nie so recht, an das

Weitere Kostenlose Bücher