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Jones, Susanna

Jones, Susanna

Titel: Jones, Susanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Erde bebt
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Wladiwostok oder Nachodka landen. Hielt ich von da aus weiter nach Norden, würde ich früher oder später das eisige Ochotskische Meer erreichen. Ich keuchte vor Kälte, schmeckte Salz. Es war berauschend, aber der Gedanke an Sibirien ließ das Wasser noch kälter werden. Ich machte eine scharfe Wende und schwamm ein paar Züge in südlicher Richtung, auf Südkorea, Shanghai, die wärmeren Wasser des Ostchinesischen Meeres zu.
    Meine Muskeln erstarrten allmählich. Von dem kalten Wasser zwischen meinen Beinen und unter meinen Armen fiel jeder Atemzug kürzer als der vorige aus. Ich dachte, ich würde sterben, wenn ich noch weiter schwamm, und dennoch meinte ich gleichzeitig, mich noch nie so beglückend lebendig, so wach gefühlt zu haben. Das Gefühl würde vergehen - das war mir klar -, aber ich wollte es in Erinnerung behalten, es irgendwo in meinem Innern verwahren, wo ich es bei Bedarf wieder finden würde.
    Natürlich funktionierte das nicht. Es war da, und jetzt ist es weg. Ich bräuchte es, aber ich kann nicht einmal mehr den Ge-
    schmack der frischen Luft auf meiner Zunge wieder finden. Ich kann mir das Wasser vorstellen, erinnere mich, dass es kalt war, aber ich sitze in einem stickigen Zimmer in einem großen Gebäude in Tokio. Es nützt nichts, sich an etwas zu erinnern, wenn man es nicht noch einmal erleben kann. Es ist nicht genug zu wissen, dass ich sehr glücklich war. Ich kann das Gefühl nicht wieder finden.
    Damals allerdings glaubte ich, es sei genug. Nachdem ich also den Augenblick gewissenhaft ausgekostet und ihn zwecks späterer Verwendung in meinem Gedächtnis abgelegt hatte, schwamm ich zum Ufer zurück. Lily und Teiji standen nebeneinander auf dem Strand und hoben nasse Kleidungsstücke für ihre triefenden Körper auf. Vor Kälte schlotternd, kümmerten sie sich nicht mehr darum, dass sie nackt waren.
    Ich hoffte, dass Lily diese Nacht gut schlafen würde. Ich hoffte, dass ich es noch schaffen würde, meinen Futon näher an Teijis zu ziehen, um dann, sobald Lilys Atemzüge tief und gleichmäßig geworden wären, zu ihm hinüberzurollen und in der Wärme behaglicher weißer Baumwolle ganz leise mit ihm zu schlafen. Er fehlte mir.
    Wer faltete die Futons auseinander und breitete sie auf der Tatami aus? Machten wir es jeder für sich, oder machte es einer für alle, während die anderen beiden sich die Zähne putzten oder sich auszogen? Ich muss schon halb geschlafen haben, denn erst als wir schon alle zugedeckt waren, fiel mir auf, dass Lily auf dem mittleren Futon lag. Keine Chance, während der Nacht zu Teiji zu gehen, ohne zu riskieren, auf sie zu treten. Ich konnte Lily nicht böse sein, denn vielleicht war es gar nicht ihre Schuld. Gut möglich, dass ich mir als Erste ein Bett ausgesucht hatte, ohne noch an meinen Plan zu denken, oder vielleicht hatten wir uns auch alle gleichzeitig hingelegt. Ich fand mich mit dem Gedanken an eine Nacht ohne Teiji ab und akzeptierte den Trost, dass ich zumindest dem Fenster am nächsten schlafen würde. Ich streckte die Hand nach dem Riegel aus und drückte. Das Fenster ließ sich leicht aufschieben. Ich legte mich hin und schlief zum Rhythmus der Wellen, die ans Ufer schlugen, tief und fest ein.
    Als ich am Morgen aufwachte, schaukelte ich sanft hin und her in der Wärme des gelben Tageslichts.
    11
     
    Teiji und Lily schliefen noch . Ich zog mich an, stieg über ihre friedlichen Körper und ging nach draußen. Ich würde vor dem Frühstück einen kleinen Spaziergang machen.
    Das Meer war in der Morgensonne blau, aber es hatte nichts von seinem nächtlichen Zaube r verloren. Ich sah hinaus über die kleinen blitzenden Wellen. Als ich mich wieder zum Strand wandte, sah ich aus dem Augenwinkel auf dem Meer ein Kanu, das eben noch nicht da gewesen war. Weiterhin nur über den Außenrand meines linken Auges erkannte ich überrascht, aber nicht beunruhigt, den verloren geglaubten Brian Church, der parallel neben mir über das Wasser paddelte. Er winkte mir zu. Es war ein freundliches Winken, als freute er sich, mich da entlangspazieren zu sehen. Sein Paddel zerteilte mit raschen Bewegungen geräuschlos das Wasser. Dennoch schien er überhaupt nicht schneller zu werden, blieb die ganze Zeit auf meiner Höhe. Ich drehte mich nicht zu ihm hin, damit er nicht verschwand. Ich ging einfach nur weiter, vielleicht noch anderthalb Kilometer, im Bewusstsein, dass er da war, lächelte und Lucy zuwinkte. Als ich umkehrte und mich auf den Rückweg machte, gestattete

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