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Jorina – Die Jade-Hexe

Jorina – Die Jade-Hexe

Titel: Jorina – Die Jade-Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
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dass du keinen vernünftigen Grund hast, mir aus reiner Herzensgüte zu dienen!« warf er ihr vor und fügte dann drohend hinzu: »Halte mich nicht zum Narren!«
    »Achtet man unter den hohen Herren Christenpflicht und Anstand so gering?« brauste Jorina auf und bedachte ihn mit einem flammenden Blick, ehe sie verächtlich hinzufügte: »Glaubt, was Ihr wollt!«
    Hatte er sie wirklich gekränkt, oder war sie nur eine gute Schauspielerin? Nein, beantwortete er sich die Frage selbst, sie war nicht fähig, einen Menschen absichtlich zu täuschen. Vielleicht fähig zu schweigen, aber die Lüge war ihr fremd. Mit zunehmender Faszination betrachtete er sie.
    Sie benahm sich völlig anders als die liebenswürdigen Edeldamen am Hofe des Königs von Frankreich. Diese sagten nie geradeheraus, was sie dachten. Sie schmückten jede Äußerung mit gezierten höfischen Floskeln, so wie ihre Sticktücher mit bunten Seidengarnen. Sie konnten mit einem Wimpernschlag, einem Schleierwehen und einem Lächeln ganze Romane erzählen, während ihr Mund etwas völlig anderes zwitscherte.
    Jorina hingegen glich der Quelle, die zu ihren Füßen sprudelte. Klar, rein und von einer natürlichen Schönheit, die weder Seide noch Juwelen benötigte, um zu wirken. Jorina vermittelte ihm das Gefühl, dass sie auf ihn gewartet hatte, und er konnte plötzlich nicht entscheiden, ob ihn dies freute oder ärgerte.
    Er beobachtete sie, wie sie sich Suppe nahm und mit erkennbarem Hunger zu essen begann. Sie fischte die Pilze mit den Fingerspitzen heraus, trank die warme Flüssigkeit und leckte anschließend ihre Finger sauber, wie ein Kätzchen, das sich nicht den kleinsten Tropfen Milch entgehen lassen wollte. Er entdeckte, dass ihm ihr verdrießliches Schweigen missfiel. Er wollte ihre Stimme hören.
    »Wie es scheint, hast du in den letzten Tagen auch nicht gerade üppig gespeist«, begann er.
    »Ich habe seit Jahren nicht mehr so gut gegessen«, entgegnete Jorina wahrheitsgemäß. »Im ...«
    Im Kloster hatte sie sagen wollen, aber im letzten Moment presste sie die Lippen aufeinander. Sie wollte ihr Geheimnis wahren. Das Leben in Sainte Anne hatte harte Arbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und karge Kost bedeutet. Faden Getreidebrei, der nur an höchsten Feiertagen von anderer Kost begleitet oder ergänzt wurde.
    Volle Mägen hatten nach Mutter Elissas Meinung Müßiggang zur Folge, und ein solches Laster wurde unter ihrer Aufsicht stets bekämpft. Dass ständiger Hunger auch schwächte und besonders die sehr Alten und ganz Jungen darunter litten, hatte die fromme Dame nie zur Kenntnis genommen. Ob sie noch lebte?
    Raoul wartete vergeblich darauf, dass sie den begonnenen Satz beendete. Da war es wieder, jenes sichere Empfinden, dass sie ihm nicht alles sagte. Sie verbarg Geheimnisse vor ihm. Dass er sich in ihrer Gegenwart trotzdem so ungefährdet fühlte, kam ihm selbst absurd vor. Vielleicht hatte der Schlag auf den Kopf nicht nur seinem Schädel, sondern auch seinem Denkvermögen geschadet?
    »Ich habe die Kleider für Euch gewaschen«, sagte Jorina in seine Gedanken hinein.
    »Welche Kleider ...«
    Er brach ab, weil die Szene am Straßengraben plötzlich wieder vor seinem inneren Auge stand. Jorina, die einem Toten die Kleider und die Waffen abnahm. Auch wenn sie das Zeug in der Quelle gewaschen hatte, es blieben doch die Lumpen eines Gauners, der die Gefahren seines Abenteuers unterschätzt hatte! Aber weshalb diese Skrupel? Er trug bereits die Stiefel jenes Mannes, und er hatte ohnehin kein Recht, Ansprüche zu stellen.
    »Ich habe die Reste Eures Hemdes dazu verwendet, Eure Wunde zu reinigen und sie zu verbinden!« erklärte Jorina. Sie glaubte zu wissen, weshalb er sich so fröstelnd die bloßen Arme rieb. »Ich weiß, dass Ihr bessere Gewänder gewohnt seid, aber im Augenblick kann ich Euch nicht damit dienen. Angemessenere Kleider werdet Ihr Euch später selbst besorgen müssen.«
    Hatte sie eine Antwort oder gar Dank erwartet? Sie bekam keines von beiden. In grimmigem Schweigen starrte er auf das Wasser der Quelle und verweigerte sich ihrer Anteilnahme und ihrem Wunsch zu helfen. Er vermittelte ihr das unschöne Gefühl, dass sie sich mit ihren Bemühungen um seine Person aufdrängte. Er wollte in Ruhe gelassen werden.
    Sie stand auf, ehe er sie fortschickte. Gekränkt nahm sie das Bündel der sauberen Kleider und trug es zur Felswand, wo sie es neben seinem Lager niederlegte. Er mochte es anziehen oder nicht, sie würde kein Wort

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