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Jorina – Die Jade-Hexe

Jorina – Die Jade-Hexe

Titel: Jorina – Die Jade-Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
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Zum ersten Mal glaubte er nicht mehr in jedem Atemzug Blut zu schmecken. Seine Lungen füllten sich in reinem Wohlbehagen, und sogar seine Sorge um Jorina schrumpfte ein wenig.
    Jähes Plätschern ließ ihn mitten im Schritt innehalten. Es klang unregelmäßig, und es kam nicht von der Seite des Baches. Es hatte seinen Ursprung irgendwo ein Stück vor ihm. Verflucht, warum hatte er nicht daran gedacht, das Messer mitzunehmen?
    Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Waffenlos; wie er war, konnte er nur auf den Vorteil der Überraschung bauen, wenn er in Schwierigkeiten kam. Das Plätschern wurde zum Rauschen, und plötzlich stürzte der Bach neben ihm über eine Reihe von Steinen nach unten. Ein Wasserfall! Eine kleine Kaskade, die in einen verwunschenen Weiher fiel, der sich vor seinen Füßen ausbreitete. Wie vom Donner gerührt starrte Raoul auf das Bild, das sich ihm dort bot.
    Die letzten bläulichen Lichtschleier des Tages zauberten goldene Reflexe auf das Wasser, und die braunen Fruchtstände der Rohrkolben bewegten sich sacht in der Abendbrise. Mitten auf der Wasserfläche schwamm jedoch eine blasse Gestalt auf dem Rücken und hielt sich mit unmerklichen Armbewegungen im Gleichgewicht. Vom Schleier ihrer gelösten dunklen Haare umflossen, schwebte Jorina wie eine Nymphe auf dem kristallenen Wasser.
    Raoul gestattete sich einen zitternden Atemzug der Erleichterung. Sie lebte, es war ihr nichts geschehen! Dann bemerkte er das Offensichtliche. Jorina trug keinen Faden am Leib. Sie glitt in paradiesischer Nacktheit durch den Waldweiher.

8. Kapitel
    Jorina hielt die Augen geschlossen und trotzte mit purer Willenskraft der herbstlichen Kälte des Wassers. sie genoss das federleichte Schweben ihres Körpers im Nass. Das Wasser klärte die Gedanken und dämpfte die widerstreitenden Gefühle in ihr. Weshalb konnte sie nicht auch ihre Sehnsüchte wie überflüssigen Schmutz einfach abspülen und vergessen?
    Sie hob die Wimpern und schaute zum Ufer hinüber, wo der Wald bereits eine dunkle Mauer bildete. Mit einem Schlag fühlte sie, dass sie beobachtet wurde! Beobachtet, aber seltsamerweise nicht bedroht. Von wem? Von einem Tier, das darauf wartete, dass es den Tümpel für sich alleine hatte? Nun, wenn sie nicht endlich aus dem Wasser stieg, würde sie ohnehin gleich mit den Zähnen klappern.
    Sie schwang die Beine nach unten und trat in den weichen Schlamm des Teichbodens, der unter ihren Füßen nachgab. Noch im Wasser schlang sie ihre Haare zusammen und wrang den feuchten, schweren Buschen aus, während sie langsam auf das Ufer zuschritt.
    Sie bot Raoul de Nadier ein Bild bezaubernder Unschuld. Eine ungekünstelte Waldfee, mit langen, schlanken Gliedern, einer zerbrechlich schmalen Taille, wohlgerundeten Hüften und hoch angesetzten vollen Brüsten, deren Spitzen sich in der Kälte verhärtet hatten. Glitzerndes Wasser perlte von dem hellen Leib, der wie Marmor schimmerte.
    Der Ritter vergaß zu atmen. Gebannt sah er zu, wie sich Jorina die Feuchtigkeit von den hinreißenden Gliedern strich und die nassen Haare zu einem Zopf flocht. Er glaubte zu sehen, wie die Wärme ihres Körpers dampfend aufstieg. Das Begehren fiel ihn so unerwartet an, dass er eine verblüffte Bewegung machte und ein trockener Zweig unter seinen Sohlen laut knackend brach.
    Jorinas leiser Aufschrei war noch nicht völlig verklungen, als sie schon die Kleider vor sich hielt und angstvoll die Gestalt beobachtete, die nun aus ihrem Versteck trat und an das Ufer kam.
    »Ihr!« hauchte sie und ließ vor Erleichterung die Arme wieder sinken, ohne daran zu denken, welchen Anblick sie ihm nun wieder bot.
    »Ich habe dich gesucht«, sagte der Seigneur mit belegter Stimme und trat näher. »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht ...«
    Jorina schluckte. »Seit wann sorgt Ihr Euch um mich?«
    »Es tut mir leid, wenn ich heute grob zu dir war. Es lag nicht in meiner Absicht, dich zu verletzen ...«
    Er brach mitten im Satz ab, weil er nicht mehr wusste, was er eigentlich hatte sagen wollen. Er konnte sie nur ansehen. Anstarren. Verzaubert wie ein törichter Page, dem der Zufall zum ersten Mal einen Blick auf das Wunderwerk vollkommener Schönheit schenkt.
    Jorina wagte keine Bewegung unter diesem Blick. Genau in dem Augenblick, in dem sie sich gewaltsam zu der Einsicht gezwungen hatte, dass es keine Gemeinsamkeit, kein Band zwischen ihnen geben konnte, entdeckte sie in seinen wunderbaren grünen Augen alles, wonach sie sich heimlich sehnte.

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