Jorina – Die Jade-Hexe
genug genommen!«
»Was verstehst du schon davon?« entgegnete er grob, weil er nicht zugeben wollte, dass sie die Lage völlig richtig einschätzte.
Auch weil er nicht länger an die Dame Suzelin denken wollte, die seinen ritterlichen Einsatz mit einem bezaubernden Lächeln belohnt hatte. Danach hatte sie ihre elfenbeinweiße Hand freiwillig einem Grafen geschenkt, der noch älter als St. Cado, aber dafür so reich wie Midas war. Seitdem gab er nichts mehr auf ein Paar schöne Augen und ein verheißungsvolles Lächeln.
»Ihr werdet doch nicht zulassen, dass er mit seinen schurkischen Intrigen siegt!« Jorina ließ sich nicht von seiner schlechten Laune einschüchtern.
Raoul verweigerte sich der unausgesprochenen Aufforderung, mit ihr zusammen Pläne zu schmieden. Er erhob sich von seinem Sitzplatz und prüfte mit einer vorsichtigen Bewegung die verletzte Schulter. Die Wunde schmerzte noch, aber er vermochte den Arm bereits wieder zu bewegen. Er streckte Jorina auffordernd die Hand entgegen. »Willst du mir deine Schleuder zur Verfügung stellen? Ich möchte sehen, ob sich mein Jagdglück mit deinem messen kann!«
Er musste allein sein und nachdenken. Er zweifelte nicht länger an Jorinas Worten, sie passten zu gut zu dem, was passiert war. Allerdings, wie sollte er sich aus der tödlichen Falle befreien, in die er so ahnungslos getappt war? Wie beweisen, dass nicht er derjenige war, der in der Rüstung mit dem Wappen derer von Nadier gesteckt hatte?
Er hatte sich in einem perfekt geknüpften Netz verfangen; sicherlich hatten sich sogar seine Freunde von seinem ›Verrat‹ überzeugen lassen. Edwy war tot. Von jenem Luc, der sich irgendwie unter seine Männer geschmuggelt hatte, wusste er nur den Namen, und St. Cado machte sich vermutlich ein besonderes Vergnügen daraus, die Kunde seines vermeintlichen Verrats in aller Welt zu verbreiten.
Auch Gräfin Suzelin würde davon hören und entsetzt die schönen Augen zum Himmel schlagen. Er konnte sie förmlich vor sich sehen, wie sie ihr Schicksal pries, das sie im letzten Moment davor bewahrt hatte, ihre Gunst einem Manne zu schenken, der wenig später den Tod ihres geliebten Onkels verursachen sollte. Sie würde ihn wie alle anderen für einen Schurken halten!
Nur Jorina tat es nicht! Unwillkürlich suchte er nun doch den Blick ihrer Augen. Klar und offen leuchteten sie ihm in einem Vertrauen entgegen, das ihn gleichzeitig rührte und verärgerte. Wie konnte sie so kritiklos sein, so davon überzeugt, dass ihn keine Schuld traf? Auch wenn er den Verrat nicht ausgeführt hatte, seine Dummheit und sein Stolz hatten ihn ermöglicht!
Seine Erinnerungen zwangen ihn, sie mit Suzelin zu vergleichen. Es konnte kaum zwei unterschiedlichere Frauen geben. Jorina fehlte jeder Hauch von Koketterie, niemals ertappte er sie dabei, dass sie sich in günstiges Licht zu rücken versuchte. Sie bewegte sich in natürlicher Ungezwungenheit und Bescheidenheit. Die Schnüre an ihrem Hemd standen nicht offen, weil sie ihn mit einem Blick auf die Wölbung ihrer schönen Brüste verführen wollte, sondern weil ihr heiß war. Auf Gesicht und Hals glitzerten die Schweißtropfen, die sie bei ihrer mühsamen Arbeit vergossen hatte, während sie gewohnheitsmäßig die schweren Haare aus der Stirn strich, die immer wieder nach vorne fielen.
Er stellte fest, dass er sich kaum noch an das Edelfräulein erinnern konnte, das seine Gedanken bis vor Kurzem dermaßen beherrscht hatte. Im Vergleich mit Jorina erschien sie ihm albern, egoistisch und eitel. Der Gedanke, ein Leben lang an eine solche Frau gebunden zu sein, ließ ihn noch im Nachhinein frösteln.
»Was seht Ihr mich so an?« fragte Jorina verwirrt, die mit den unterschwelligen Signalen nichts anfangen konnte, die in diesem Moment von ihm ausgingen. Sobald es um ihre eigene Person ging, waren ihr seine Gedanken und Gefühle ein Rätsel.
»Du bist schön«, hörte er sich zu seiner eigenen Verblüffung antworten.
»Wenn Ihr das ehrlich meint, warum macht Ihr dann seit dem Abend am Weiher einen Bogen um mich, als hätte ich die schwarze Pest?« fragte Jorina kummervoll.
»Weil ich kein Schurke bin«, erwiderte Raoul de Nadier grimmig. »Ich pflege meine Fehler nur ein einziges Mal zu machen.«
»Dann haltet Ihr es für einen Fehler, mich zu lieben?« wisperte sie verletzt.
»Ich bitte dich, nein, das verstehst du völlig falsch.« Bestürzt versuchte er, zu erklären, was er meinte. »Ich habe kein Recht, dich zu
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