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Jorina – Die Jade-Hexe

Jorina – Die Jade-Hexe

Titel: Jorina – Die Jade-Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
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der Tag zur Neige ging und er seine körperliche Leistungsfähigkeit stark überschätzt hatte. Heilende Narben bedeuteten nicht, dass er sich bereits wieder im vollen Besitz seiner Stärke befand. Er musste sich seine Kräfte wie seine Vorräte einteilen, denn er konnte sich keineswegs darauf verlassen, dass es in diesem Ort mildtätige Seelen gab, die einen zerlumpten Landstreicher verköstigten. Für Besseres konnte man ihn in seinen groben Gewändern und mit dem Bart kaum halten, aber vielleicht war diese Maske ja sogar nützlich.
    Glücklicherweise erreichte er den Waldrand nach kurzer Zeit. Die Bäume wurden niedriger und gingen in Gestrüpp und Heide über, während sich unweit dieser Wildnis ein paar niedrige graue Steinhäuser und windschiefe Hütten um ein Gotteshaus mit eckigem Turm drängten. Es hatte fast den Anschein, als sammle eine behäbige graue Glucke ihre zu groß geratenen Küken um sich.
    Die Einkerbung des breiten Bachlaufes, der aus dem Wald kam und in bizarren Windungen zum Dorf führte, verriet, weshalb sich ausgerechnet an dieser verlassenen Stelle Menschen angesiedelt hatten. Die Mühle war neben der Kirche das größte Gebäude im Dorf.
    Sie war es gewesen, denn in diesem Moment schlugen Flammen aus dem hölzernen Dachstuhl und warfen ihren rötlichen Schein gegen die tief hängenden Regenwolken. Raoul beschleunigte seine Schritte und entdeckte erstaunt, dass sich die Menschen des Dorfes zwar um die Brandstelle drängten, dass aber keiner von ihnen Anstalten machte, das Feuer zu löschen.
    Er hörte schrille Schreie, das angsterfüllte Wiehern von Pferden, Waffengeklirr und rauhe Männerstimmen und begriff. Es bedurfte keiner großen Fantasie, die Szene zu deuten. Eine der vielen Söldner-Kompanien war auf Beutezug. Der Winter stand vor der Tür, und diese Männer hatten keine Felder bestellt und keine Ernten eingebracht. Wie üblich holten sie sich bei den Schwächeren, was sie brauchten. Das Ende des Krieges schien nichts daran geändert zu haben.
    Es war eine so alltägliche, normale Ungerechtigkeit in diesen schlimmen Zeiten, dass der Ritter nur die eigene Chance darin erkannte. In diesem Durcheinander konnte er sich ungesehen unter die Menschen mischen. Die zunehmende Dämmerung erleichterte sein Vorhaben. Der böige Wind fachte die Flammen an, aber alle Welt schien wie gebannt auf ein anderes Ereignis zu blicken, das sich auf dem Platz vor der brennenden Mühle abspielte.
    Als Raoul nahe genug herangekommen war, um zu erkennen, was dort vor sich ging, begriff auch er, weshalb. Man hatte leere Säcke, Holzscheite und Zweige zu einem Scheiterhaufen rund um einen groben Holzpflock angehäuft, und an diesem Schandpfahl hing eine schmale Frauengestalt. Er erkannte sie sofort, obwohl der Wind ihr die Haare ins Gesicht wehte und es verdeckte. Die trotzige Haltung war unverkennbar. Wie um Himmels willen kam Jorina in diese grauenvolle Lage?
    Die Stimme des Anführers der Plünderer hob sich über das Brausen des Feuers, das Rauschen des Regens und das Pfeifen des Windes. »Antworte, Weib, oder wir zünden dieses Dorf Haus für Haus an und mit dem letzten Scheit dich selbst!«
    Ein Stöhnen kollektiver Verzweiflung flog durch die Gruppe der Männer, Frauen und Kinder, die sich am Rand der Szene zusammendrängte.
    »Verbrennt die Hexe!« gellte eine schrille Frauenstimme auf. »Verbrennt sie, wie wir es mit ihrer Mutter gemacht haben!«
    »Gemach!« Der Söldnerhauptmann grinste und zwirbelte seinen rötlichen Schnauzer. »Du bist nicht besonders beliebt bei diesen Leuten, meine Schöne! Du solltest dich besser mit uns verbünden. Also, wo steckt der verwundete Ritter? Du hattest die Finger bei seiner Flucht im Spiel! Antworte, wenn dir dein Leben lieb ist!«
    Für einen Augenblick drehte sich der launische Wind und trieb Jorina die Haare aus dem blassen Gesicht. Raoul sah, dass sie die Augen geschlossen und die Lippen aufeinander gepresst hatte. Er spürte ihre Angst vor dem Feuer, vor dem Tod. Aber gleichzeitig begriff er, dass sie lieber sterben als ihn verraten würde. Sie hatte ihn nicht mit solchem Eigensinn ins Leben zurückgeholt, nur um ihn jetzt seinen Feinden auszuliefern. Sie würde kein Wort sagen!
    »O Gott! Jorina!«
    Es schien, als hätte sein stummer Ruf der Verzweiflung das Mädchen auf dem Scheiterhaufen erreicht. Jorina öffnete die Augen und fixierte im Schein des Feuers die ihr zugewandten Gesichter. Männer wie dieses Dutzend schwerbewaffneter Söldner hatte sie vor

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