Jorina – Die Jade-Hexe
Anschein ununterbrochener Geschäftstätigkeit gab. »Aber ich hab’ nicht zugelassen, dass er dich in Malestroit in der Herberge ablädt, weiß du! Ich wusste, dass die Himmelkönigin meine Gebete erhört hat, da konnte er noch soviel brummen über die Kosten für eine Sänfte und den ganzen anderen Unsinn! Man darf nicht immer ernst nehmen, was er sagt, weißt du ...«
Jorinas Wissen wuchs von Tag zu Tag, während sie sich langsam wieder aufsetzen konnte und die demütigende Schwäche wich, die sie an den Alkoven fesselte. Maître Otage schien ein rechter Geizkragen und Brummbär zu sein, und Dame Rose besaß als einzige im Haus die Macht, sein gesträubtes Fell wieder zu glätten. Jorina hatte ihn bisher nicht zu Gesicht bekommen, und sie verspürte auch keine große Sehnsucht nach ihm.
Die kleine Insel der Geborgenheit, die Dame Rose für sie geschaffen hatte, tat ihr an Leib und Seele gut. Nicht einmal der Umstand, dass sie sich immer noch nicht erinnern konnte, bedrückte sie. Ihre mildtätige Gastgeberin bestärkte sie darin.
»Du warst allein, als wir dich gefunden haben, also wird es niemanden geben, der sich Sorgen um dich macht. Wenn du wieder gesund bist, werden wir weitersehen, bis dahin verbiete ich dir zu grübeln!«
Jorina nickte gehorsam und glaubte Dame Rose. Wenn es irgendwo jemanden gäbe, der sich Sorgen um sie machte, dann würde sie das spüren, davon war sie mittlerweile selbst überzeugt. Dass sie sich manchmal so unendlich verlassen und verloren fühlte, so als betraure sie den Verlust von etwas besonders Kostbarem, musste andere Gründe haben. Es waren die letzten Folgen ihrer schweren Krankheit. Ganz sicher.
Als sie das erste Mal ihr Bett verlassen konnte und sich in einen warmen pelzgefütterten Hausmantel gehüllt auf dem gepolsterten Fenstersitz niederließ, kam es ihr vor wie eine Geburt. Der Beginn eines neuen, unbekannten Lebens, das auf sie wartete, während das alte in Dunkelheit und Vergessenheit zurückblieb. Durch die grün-weißen Rauten des Fensters erblickte sie nebelhaft verschwommen das Leben auf der Gasse wie etwas völlig Fremdes, nie Gesehenes.
»So viele Menschen«, murmelte sie verblüfft. »Was ist nur los?«
Dame Rose blickte erstaunt über ihre Schulter nach unten und lachte dann. »Nichts, mein Kind! Es ist so wie immer an einem Vormittag in Rennes. Handwerker, Mägde, Fuhrleute, Händler und Bettler, ein jeder geht seiner Profession nach und eilt sich, dass er bis zum Mittagsläuten damit fertig wird.«
Jorina staunte dennoch, und als zusätzliche Bewegung in die Szene kam, öffnete sie trotz des kühlen Tages das Fenster. Ein Reitertrupp mit Standarte preschte ohne Rücksicht auf die Menschen die Straße entlang, und die prächtigen Wappenröcke leuchteten mit der eisig-klaren Dezembersonne um die Wette.
»Was ist das?« erkundigte sie sich fasziniert.
»Die Garde des Herzogs«, erklärte Dame Rose. »Seit er offiziell über unser Land herrscht, ist er meist in der Burg von Rennes. Aber ich fürchte, es dauert noch eine Weile, bis wir den versprochenen Frieden bekommen. Zuviel Blut ist geflossen, und erst diese Söldnerbanden ... wir können von Glück sagen, dass wir hinter den sicheren Mauern unserer guten Stadt Rennes wohnen!«
Jorina sagte nichts dazu. Sie starrte weiterhin aus dem Fenster, aber sie sah nicht mehr die Menschen. Etwas in Dame Roses Worten hatte ihr Innerstes berührt und dort etwas in Bewegung gebracht. So, als gäbe es etwas unerhört Wichtiges, das mit dieser Stadt und ihrem Herrn in Verbindung stand. Doch was sollte das schon sein? Sie glaubte mit Sicherheit sagen zu können, dass sie noch niemals in Rennes gewesen war.
21. Kapitel
»Das alles? Bist du von Sinnen, Weib?« Maître Josephs Stimme überschlug sich vor Entrüstung. »Willst du meinen Ruin?«
»Tststs«, entgegnete Dame Rose in ihrer typischen Art und schüttelte den Kopf. »Ihr solltet Euch nicht so aufregen, Herr Gemahl, das bringt nur die schlechten Gallensäfte zum Fließen. Das bisschen Tuch ist doch wirklich nicht der Rede wert!«
»Nicht der Rede wert?« wiederholte der Händler. Sein Gesicht war so rot, dass Jorina fürchtete, ihn würde auf der Stelle der Schlag treffen. »Das ist ellenweise bestes flandrisches Wolltuch, blauer Scharlach, Samt aus Venedig und das feinste Leinen, das im Umkreis von zehn Tagesreisen gewebt wird, von der Seide ganz zu schweigen. Wollt Ihr die Mitgift für eine Gräfin zusammenstellen?«
»Papperlapapp!« Dame Rose winkte
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