Joseph Anton
wäre?« Piggy zuckte mit den Achseln. »Zum Glück«, erwiderte er, »müssen wir diese Frage ja nicht beantworten, oder?«
*
Michael Foot und Jill Craigie hatten Neil Kinnock, Foots Nachfolger als Oppositionsführer, und dessen Frau Glenys überredet, ihn zum Abendessen in ihr Haus in der Pilgrims Lane in Hampstead einzuladen. Der Schriftsteller und Anwalt John Mortimer, Erfinder von Rumpole von Old Bailey , würde mit seiner Frau Penny ebenfalls dort sein. Er wurde nach London gefahren, blieb aber vor der Moschee im Regent’s Park im Stau stecken, da die Gläubigen, die gerade eine Hasspredigt gegen ihn gehört hatten, nach dem Freitagsgebet auf die Straße strömten. Er musste den Daily Telegraph aufschlagen und sein Gesicht darin vergraben. Nach einer Weile fragte er: »Ich nehme doch an, dass die Türen geschlossen sind?« Er hörte ein Klicken, dann ein Räuspern, ehe Stumpy sagte: »Sie sind es jetzt.« Er konnte sich nicht helfen, aber er fand es schrecklich, von ›seinen‹ Leuten derart getrennt zu sein. Als er Sameen hinterher davon erzählte, schimpfte sie ihn aus.
»Dieser von Mullahs aufgepeitschte Mob, das waren nie deine Leute«, sagte sie. »Du warst schon immer gegen sie, und sie waren schon immer gegen dich, in Indien ebenso wie in Pakistan.«
Im Haus der Foots erwies sich Neil Kinnock als erstaunlich mitfühlend, freundlich und bereit, ihn zu unterstützen. Allerdings machte er sich auch Sorgen, man könne ›spitzkriegen‹, dass er hier sei, denn das könnte für politische Probleme sorgen. Er hätte kaum netter sein können, doch blieb es eine private, geheime Nettigkeit. Irgendwann am Abend sagte Kinnock, er sei dagegen, dass nach Geschlechtern getrennte Muslimschulen staatliche Subventionen erhalten, aber was solle er machen, rief er, dass sei nun mal die Politik der Labour-Partei. Es war unmöglich, sich vorzustellen, dass Margaret Thatcher, seine politische Gegnerin, derart hilflos mit den Achseln gezuckt hätte.
Michael selbst war ein guter Freund und leidenschaftlicher Verbündeter geworden. Nur was Indira Gandhi betraf, waren sie anderer Ansicht, da Michael sie gut gekannt hatte und dazu neigte, ihre Jahre einer Quasi-Diktatur während des ›Notstands‹ Mitte der siebziger Jahre zu entschuldigen. Wenn Michael jemanden zu seinem Freund machte, war er fest davon überzeugt, dass dieser Jemand nichts Unrechtes tun konnte.
Ebenfalls anwesend beim Abendessen war der Dichter Tony Harrison, der für die BBC ein Filmgedicht mit dem Titel The Blasphemer’s Banquet geschrieben hatte, in dem er in einem Restaurant in Bradford zusammen mit Voltaire, Molière, Omar Khayyam und Byron zu Abend aß. Ein Stuhl blieb leer. » Das ist Salman Rushdies Stuhl .« Sie unterhielten sich darüber, dass die Gotteslästerung eine der Wurzeln westlicher Kultur sei. Sokrates, Jesus Christus und Galileo, sie alle wurden wegen Gotteslästerung vor Gericht gebracht, und doch standen die Philosophie, das Christentum und die Wissenschaft tief in ihrer Schuld. »Ich halte den Platz am Tisch frei«, sagte Harrison. »Lassen Sie mich nur wissen, wann Sie kommen können.«
In der Nacht wurde er fortgebracht. Sein Weisheitszahn tat höllisch weh. Man entschied sich für ein Krankenhaus in der Nähe von Bristol, traf sämtliche Vorkehrungen und schmuggelte ihn zu Untersuchungen und Röntgenaufnahmen ins Haus. Er musste über Nacht bleiben, da man ihn erst am nächsten Morgen operieren konnte. Beide unteren Weisheitszähne mussten gezogen werden, was eine Vollnarkose notwendig machte. Sollte allerdings seine Anwesenheit bekannt werden, könnte sich, so fürchtete die Polizei, vor dem Krankenhaus eine feindselige Menge versammeln. Für diesen Fall hatten sie einen Plan B. Ein Leichenwagen stand bereit und würde vor dem Krankenhaus vorfahren, aus dem man ihn betäubt und in einem Leichensack versteckt nach draußen bringen wollte. Zum Glück erwies sich dies als unnötige Vorsichtsmaßnahme.
Als er wieder zu sich kam, hielt Marianne seine Hand. Er schwebte selig auf Morphiumwolken, und Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Halsschmerzen fühlten sich gar nicht schlimm an. Unter seinem Kopf lag ein Wärmekissen, und Marianne war sehr nett zu ihm. Im Hyde Park versammelten sich zwanzig- oder dreißigtausend Muslime und forderten was auch immer, aber mit Morphium fand er das alles gar nicht schlimm. Sie hatten mit der größten Demonstration auf englischem Boden gedroht, hatten fünfhunderttausend Leute angekün digt, da
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