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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Leben ? . Das neue Werk trug den elegant formulierten Titel Wer hat Salman Rushdie umgebracht? Er rief Clark an, um darauf hinzuweisen, dass die korrekte Antwort auf seine Frage lauten müsse: »Niemand, zumindest noch nicht, und lasst uns hoffen, dass es so bleibt.« Clark erbot sich, den Titel in Wer hat den Autor umgebracht? zu ändern, doch bliebe die Geschichte unverändert die eines Schriftstellers, der wegen eines seiner Bücher von iranischen Attentätern ermordet wird. ›Fiktion?‹ Aber sicher doch. Könnte sonst wer sein. Clark sagte, er habe vor, das Stück zur Aufführung anzubieten. Sein Leben und sein Tod wurden anderer Leute Eigentum. Er war Freiwild.
    In England bräunte sich jedermann in der Sonne, nur er blieb im Haus und wurde blass und zottelig. Man bot ihm einen Platz auf der europäischen Liste der italienischen Zentrumsparteien an – der Republikanischen Partei, der Liberalen Partei und der Radikalen Partei eines gewissen Marco Pannella, der ihm auch jenes Angebot unterbreitete, das ihn über das Büro von Paddy Ashdown erreichte, dem Vorsitzenden der britischen Liberaldemokraten. Gillon sagte: »Lass die Finger davon, klingt nach einem Werbegag.« Pannella dagegen fand, Europa solle zu seinen Gunsten einen eindeutigen Solidaritätsbeweis erbringen, und wenn er Mitglied des Europäischen Parlaments ( MEP ) würde, wäre jeder Angriff auf ihn auch ein Angriff auf das Parlament selbst, was einige potentielle Angreifer abschrecken könnte. Scotland Yard, deren ältere Beamte entschlossen schienen, ihn nicht auf dem aktuellsten Stand zu halten, fürchtete, ein solcher Schachzug könne die Gefahr noch steigern und wie ein rotes Tuch auf Muslime wirken, so dass auch unbeteiligte Menschen in Gefahr gerieten. Wie würde er sich denn fühlen, wenn man als Resultat seiner Entscheidung einige ›Weichziele in Straßburg‹ angriffe? Letzten Endes ent schied er sich dagegen, Signore Pannellas Angebot anzunehmen. Er war kein Politiker; er war Schriftsteller, und als Schriftsteller wollte er verteidigt werden, als Schriftsteller wollte er sich selbst verteidigen. Er dachte an Hester Prynne, die ihren scharlachroten Buchstaben mit Stolz getragen hatte. Er selbst war jetzt ebenfalls mit einem scharlachroten A gebrandmarkt, einem A, das nicht für adulteress , für Ehebrecherin, sondern für Abtrünniger stand. Wie Hawthornes große Romanheldin musste er nun trotz aller Pein den scharlachroten Buchstaben wie ein Ehrenabzeichen tragen.
    Man schickte ihm eine Ausgabe der amerikanischen Zeitschrift NPQ , in der er zu seiner Freude den Artikel eines islamischen Gelehrten fand, der schrieb, dass sich Die satanischen Verse in eine lange Reihe von Werken einordnete, die Zweifel an Kunst, Poesie und Philosophie äußerten. Eine stille Stimme der Vernunft, die im Gejaule mörderischer Kinder versuchte, Gehör zu finden.
    Es kam zu einem zweiten Treffen mit Commander Howley, das in der Thornhill Crescent in Islington stattfand, genauer gesagt im Haus von Kathy Lette, einer befreundeten australischen Autorin witziger, scharfzüngiger Romane, und ihres Mannes, des Kronanwalts Geoffrey Robertson. Howley erinnerte ihn an einen Nussknacker, der nur aus Kopf und Armen bestand und mit dem sein Vater gern Walnüsse geknackt hatte. Man schob dem Kerl eine Nuss zwischen die Kiefer und presste die Arme zusammen, woraufhin die Nuss mit einem befriedigenden Knacken zerbrach. Der Mann besaß eine furchteinflößende Kinnpartie, auf die hätte sogar Dick Tracy neidisch sein können, und – schloss man den Nussknacker – einen schmallippigen, grimmigen Mund. Angesichts von Commander Howley, einem strengen, ernsten Mann, hätte jede Walnuss in ihrer Schale zu zittern begonnen. Diesmal aber war er gekommen, um ihm ein wenig Hoffnung zu bringen. Es sei schlicht unvernünftig, bekannte er, jemanden zu zwingen, dauernd auf Achse zu sein, und von ihm zu verlangen, dass er sich ständig irgendwelche Häuser oder Wohnungen mietete. Deshalb sei beschlossen worden – Polizisten haben eine Vorliebe für passive Formulierungen –, ihm zu erlauben (wieder dieses mysteriöse Wort erlauben ), sich nach einem dauerhaften Wohnort umzusehen, den er ›Mitte nächsten Jahres oder so‹ beziehen könne. Bis Mitte des nächsten Jahres war es noch ein Jahr, was ihn ein wenig entmutigte, doch allein der Gedanke, wieder ein Haus zu haben und darin wie jeder andere ›Kunde‹ beschützt und geschützt zu leben, munterte ihn auf und stärkte sein

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