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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Selbstwertgefühl. Wie viel menschlicher das doch wäre als dieses unstete, flatterhafte Leben! Er dankte Commander Howley und setzte hinzu, er hoffe, man erwarte nicht, dass er sich irgendwo auf dem Land fernab von Familie und Freunden vergrabe. »Nein«, sagte Howley. Für alle Beteiligten wäre es sogar einfacher, wenn das Haus in der › DPG -Zone‹ läge. DPG stand für ›Diplomatic Protection Group‹, für die diplomatische Schutztruppe, die im Notfall reaktionsschnelles Eingreifen garantierte. Man würde einen verstärkten Schutzraum und ein System von Alarmknöpfen benötigen, aber das sei vermutlich wohl akzeptabel. Ja, antwortete er, gewiss. »Also gut«, fuhr Howley fort. »Gehen wir’s an.« Und die Nussknackerkinnlade schloss sich.
    An jenem Tag konnte er die Neuigkeiten mit niemandem teilen, nicht einmal mit seinen Gastgebern. Kathy Lette hatte er fünf Jahre zuvor in Sydney kennengelernt, als er unweit von Bondi Beach mit Robyn Davidson spazieren ging. Der Lärm einer Party wehte aus einer Wohnung im vierten Stock, und als sie aufblickten, sahen sie eine Frau mit dem Rücken zum Meer auf dem Balkongeländer sitzen. »Den Hintern erkenne ich überall wieder«, sagte Robyn. Und so begann seine Freundschaft mit Kathy gleichsam von unten herauf. Robyn verschwand aus seinem Leben, Kathy blieb. Sie kam nach England, nachdem sie sich in Geoffrey verliebt hatte, der ihretwegen mit Nigella Lawson brach, was dem Leben aller Beteiligten guttun sollte, auch dem von Nigella. Kaum war die Polizei fort, hielt Geoff im Haus in der Thornhill Crescent eine Rede über die gerichtlichen Angriffe auf Die satanische Verse und erklärte, warum sie scheitern würden. Die Kraft seiner Überzeugung und Geoffs unbändige Sympathie taten ihm gut. Er war ein wertvoller Verbündeter.
    Marianne kam von einem Ausflug in die Stadt zurück. Sie sagte, sie habe Richard Eyre, den Direktor des National Theatre, in einem U-Bahnhof auf dem Bahnsteig getroffen, und als er sie sah, sei er in Tränen ausgebrochen.
    *
    So viel wurde von so vielen Leuten gesagt, aber die Polizei bat ihn, keine aufrührerischen Statements abzugeben, wobei sie annahm, dass jedes seiner Statements allein schon deshalb aufrührerisch sein würde, weil es von ihm stammte. Er ertappte sich dabei, wie er in seinem Kopf aberhundert Briefe aufsetzte und sie in den Äther feuerte wie Bellows Herzog, halbverrückte, fast zwanghafte Wortwechsel mit der Welt, die er in Wirklichkeit aber nicht verschicken durfte.
    Sehr geehrter Sunday Telegraph,
    geht es nach Ihnen, soll ich einen sicheren, geheimen Zufluchtsort finden, sagen wir in Kanada oder in einer entlegenen Gegend Schottlands, wo die Einheimischen, die stets genau auf die Ankunft von Fremden achten, böse Jungs schon von weitem kommen sehen; und sobald ich mein neues Heim gefunden habe, soll ich für den Rest meiner Tage den Mund halten. Der Gedanke, dass ich nichts Falsches getan habe und es als unschuldiger Mensch verdiene, mein Leben nach eigenem Belieben verbringen zu dürfen, ist von Ihnen offenbar erwogen, aber aus der Wahl meiner Möglichkeiten gestrichen worden. Und doch hänge ich an ebendieser absurden Idee. Da ich ein Großstadtjunge bin und das Land sowieso noch nie gemocht habe (von kurzen Ausflügen einmal abgesehen), und da ich mich schon seit langem für kaltes Wetter nicht erwärmen kann, kommen zudem weder Schottland noch Kanada in Frage. Darüber hinaus bin ich nicht gut darin, meinen Mund zu halten. Wenn man versucht, einen Schriftsteller zu knebeln, meine Herren, würden Sie mir da nicht beipflichten – da Sie doch selbst Journalisten sind –, dass die beste Antwort darauf lautet, sich nicht knebeln zu lassen? Um dann, wenn möglich, noch lauter und tollkühner als zuvor das Wort zu ergreifen? Um noch schöner, noch wagemutiger zu singen (falls man denn zu singen vermag, was ich, wie ich gestehe, nicht kann)? Um von nun an erst recht präsent zu sein? Falls Ihnen diese Sicht der Dinge nicht liegt, entbiete ich Ihnen schon im Vorfeld mein Beileid, denn genau so lauten meine Pläne für die Zukunft.
    Sehr geehrter Brian Clark,
ist das nicht mein Leben?
    Sehr geehrter Oberrabbiner Immanuel Jakobovits,
    ich habe mindestens ein College besucht, in dem jungen Juden streng und vernünftig die Grundsätze strengen und vernünftigen Denkens beigebracht wurden. Selten traf ich so beeindruckend geschulte Köpfe, und ich weiß, diese jungen Männer würden die Gefahr und Untauglichkeit falscher

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