Joseph Anton
oft schlechter als ihre Hausangestellten.
Gelegentlich waren die Leute auch zu aufgeregt. Einmal wurde er eingeladen, Edward Said zu besuchen, der in London im Haus eines kuwaitischen Freundes in Mayfair wohnte. Als er eintraf, erkannte ihn die indische Hausangestellte sofort, riss die Augen auf und reagierte völlig überdreht. Sie rief im Haus von Saids Gastgebern in Ku wait an und schrie wirr in den Apparat: »Rushdie! Hier! Rushdie hier!« Niemand in Kuwait verstand, warum der Unsichtbare in ihrem Londoner Haus aufgetaucht sein sollte: Warum suchte er dort Zuflucht? Edward musste ihnen erklären, dass der Unsichtbare nur einen Freund zum Abendessen besuchte. Ein längerfristiger Aufenthalt war nicht geplant.
Allmählich begann er zu begreifen, dass der Personenschutz glamourös wirkte. Ehe er selbst eintraf, kamen Männer, die seine Ankunft vorbereiteten, ein schnittiger Jaguar hielt vor der Tür, dann der Augenblick größter Gefahr zwischen Autotür und Haustür, ehe er ins Innere geleitet wurde. Es sah aus, als wäre er ein VIP . Es sah nach zu viel aus. Es ließ Leute fragen: Was glaubt er denn, wer er ist? Womit hat er es verdient, wie ein König behandelt zu werden ? Seine Freunde fragten das nicht, aber vielleicht wunderte sich der eine oder andere doch: Ist das wirklich nötig? Je länger es dauerte, je länger er überlebte, desto leichter fiel es den Leuten, zu glauben, dass niemand ihn zu töten versuchte und dass er die Bodyguards nur wollte, um seiner Eitelkeit Genüge zu tun, seiner unerträglichen Selbstgefälligkeit. Es fiel schwer, sie davon zu überzeugen, dass der Personenschutz von seinem Standpunkt aus keineswegs so wirkte, als behandelte man ihn wie einen Filmstar. Es kam ihm wie Gefängnis vor.
In der Presse tobte derweil die Gerüchteküche. Die Organisation Abu Nidal bildete ein Team von Attentätern aus, die ›als Geschäftsleute in westlichen Kleidern‹ nach England einreisen wollten. Es hieß, ein weiteres Team werde in der Zentralafrikanischen Republik trainiert. Doch gab es nicht nur dieses tödliche Geflüster, Hässliches plärrte auch noch immer aus allen Radios und Fernsehapparaten, prangte auf jeder Titelseite. Der Tory-Minister John Patten debattierte im TV beredt mit dem Pro-Muslim-Abgeordneten Keith Vaz. Kalim Siddiqui trat gleichfalls im Fernsehen auf, frisch zurück aus dem Iran, und verkündete drohend: »In England wird er nicht sterben«, wo mit angedeutet werden sollte, dass man eine Entführung plane. Der ehemalige Popsänger Cat Stevens, erst kürzlich als Muslim-›Führer‹ Yusuf Islam wiedergeboren, verkündete vor laufender Kamera, er hoffe auf Rushdies Tod, um dann zu sagen, dass er bereit sei, die Attentäter zu rufen, sobald er wisse, wo sich der Gotteslästerer aufhalte.
Er rief Jatinder Verma vom Tara Arts Theatre an, und ihm wurde von »schweren Einschüchterungsversuchen (britischer Muslime sei tens der Organisatoren der Kampagne) an der Basis« und »politi schem Druck durch den Rat der Moscheen« berichtet. Ebenso deprimierend wie die Kampagne der Muslime waren die Attacken von links. John Berger prangerte ihn im Guardian an. Und der bekannte Intellektuelle Paul Gilroy, Autor von There Ain’t No Black in the Union Jack ( der für Großbritannien war, was Cornel West für Amerika war), warf ihm vor, er habe ›das Volk falsch eingeschätzt‹ und seine Tragödie daher selbst zu verantworten. Surrealerweise verglich ihn Gilroy mit dem Boxer Frank Bruno, der offenbar wisse, wie man es vermeide, ›das Volk falsch einzuschätzen‹, weshalb er allseits geliebt werde. Für sozialistische Intellektuelle wie Berger und Gilroy war es schlichtweg undenkbar, dass das Volk ihn falsch einschätzte, dass das Volk sich irren konnte.
Das Wohnproblem wurde akut. Zum zweiten Mal aber bot Deborah Rogers ihre Hilfe an und fand eine Lösung. Sie kenne da ein geräumiges Haus in Bucknell in Shropshire, das für ein Jahr zur Verfügung stehe. Die Polizei sah es sich an und befand: ja, es sei möglich. Seine Laune besserte sich. Eine Heimstatt für ein ganzes Jahr klang nach schier undenkbarem Luxus. Er war einverstanden: Joseph Anton würde das Haus mieten.
Eines Tages fragte er einen seiner Bodyguards namens Piggy: »Was hätten Sie getan, wenn Die satanischen Verse kein Roman, sondern ein Gedicht oder eine Radiosendung gewesen wäre und nicht die Einkünfte gebracht hätte, die es mir erlauben, so ein Haus zu mieten? Was hätten Sie getan, wenn ich arm gewesen
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