Joseph Anton
verächtlich. »Gib’s auf.« Er verlor die Beherrschung. »Sag mir nicht, wie ich mein Leben zu leben habe«, explodierte er, und sie stürmte hocherhobenen Hauptes davon.
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Harun und das Meer der Geschichten begann zu fließen. Seine Notizbücher enthielten viele Fragmente – Reime, Witze, ein Schwimmender Gärtner wie ein Gemälde von Arcimboldo aus Gemüsesorten und zähen, knorrigen Wurzeln, der sang: Man stoppt einen Scheck, / Ein böses Gerücht, / Man stoppt den Verkehr, / nur mich stoppt man nicht! , dazu ein heiserer Krieger, dessen Räuspern und Husten sich wie Autorennamen anhörte: Kafkafka! Gogogol! , sowie einige, die es nicht in die letzte Fassung schafften: Gogh! Waugh! und Qfwfq! (nach dem unaussprechlichen Erzähler von Italo Calvinos Cosmicomics ). Selbst die grässliche, stocktaube Prinzessin Batcheat erwachte endlich zum Leben und mit ihr der jaulend vorgebrachte Song über ihren geliebten (und eselsdummen) Prinzen Bolo, er spielt kein Polo, er fliegt nicht solo , sie alle fanden nun ihren Platz in der fröhlichen Flut. Ein Wunderlampengeschöpf namens Jeannie Come Lately – ›eine parvenühafte Streberin‹ – wurde zusammen mit ihrer Schwester aufgegeben, der Jeannie mit dem hellbraunen Haar. Das machte Spaß. Es gefiel ihm, damals wie später, dass er in den dunkelsten Momenten des Lebens sein hellstes und fröhlichstes Buch schrieb. Ein Buch mit ebenjenem echten, unverfälschten, wohlverdienten Happyend, das er sich dafür gewünscht hatte, dem ersten Happyend, das er überhaupt schrieb, denn solche Enden, sagt schon das Walross zu Harun, sind gar nicht so leicht zu bewerkstelligen.
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Václav Havel kam nach London. Es würde seine erste offizielle Reise nach Antritt der Präsidentschaft sein, und Harold Pinter sagte, er plane eine größere Geste des Beistands für den Autor der Verse , der sich zufällig gerade fragte, ob er nicht eine Interessengruppe weltweit bekannter Menschen zu seiner Unterstützung gründen könne, angeführt von Václav Havel und vielleicht noch vom großen peruanischen Schriftsteller (und besiegten Präsidentschaftskandidaten) Mario Vargas Llosa. Der Gedanke war, eine Delegation zusammenzu bringen, zu der die Iraner ›Ja‹ sagen konnten, eine Gruppe von so hohem Rang, dass eine Übereinkunft mit ihr einem würdevollen Akt und nicht einem Rückzug glich.
Sameen hatte ihn gedrängt, solch kreative Ideen zu entwickeln. »Du musst die Initiative ergreifen«, sagte sie, »und alles vorbringen, was dir in den Sinn kommt.« Jetzt kam Havel nach London und wollte sich für ihn einsetzen. Vielleicht ergäbe sich eine Gelegenheit, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen. »Er möchte mit dir fotografiert werden und eine gemeinsame Pressekonferenz abhalten«, sagte Harold. »Ich rufe William Waldegrave an.«
Alle, die Harold Pinter kannten und liebten, wussten, dass es gut war, ihn in einem Streit auf der eigenen Seite zu wissen. Und wer die keineswegs beneidenswerte Erfahrung gemacht hatte, ›gepintert‹ zu werden, wusste, dass man sich unbedingt vor seiner scharfen Zunge hüten musste. Die Wut und unterdrückte Gewalt, die in seinen besten Stücken loderten, brannten auch in dem Mann, sichtbar in seinem kantigen Kiefer, der Intensität seines Blicks, der funkelnden Bosheit seines Lächelns. Das waren Qualitäten, die man sich bei einem Verbündeten wünschte, nicht beim Gegner. Einen Tag nach der Fatwa führte Harold eine Gruppe Schriftsteller zur Downing Street, um ein Eingreifen zu verlangen. Und der spontane Entschluss, den Read-Vortrag zu halten, hatte seinen persönlichen Mut zur Genüge bewiesen. Wenn er William Waldgrave anrief, dann wusste William Waldgrave, dass er angerufen worden war.
Kein Wunder also, dass Harold schon am nächsten Tag zurückrief. »Es klappt.« Das Treffen mit Havel, der, so Harold, »wichtigste Termin in Havels Kalender gleich nach dem Treffen mit Thatcher«, liege nun in den Händen des Sicherheitsteams, das den Besuch des tschechischen Präsidenten vorbereitete. Ihm kam es wie ein Durchbruch vor – nein, es war ein Durchbruch; zum ersten Mal wurde er öffentlich von einem Regierungschef unterstützt. Die britische Regierung hatte bislang gezögert, Ministern ein Treffen mit ihm zu gewähren, da man fürchtete, ›falsche Signale‹ auszuschicken. Und nun wollte Havel tun, was Thatcher nicht getan hatte.
Trotzdem blieb er vom Pech verfolgt, und für ›Joseph Anton‹ brachen schlechte sieben Tage an. Die Probleme im schäbigen
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