Joseph Anton
sich. Er hatte in Prag den neuen tschechischen Präsidenten getroffen, den Theaterautor und Menschenrechtsaktivisten Václav Havel, »und seine erste Frage galt dir. Er will irgendwas Großes machen.« Es gab neue Drohungen von Mehdi Karroubi, Sprecher des Majlis, des iranischen Parlaments (zwanzig Jahre später ein nicht sonderlich überzeugender Oppositionsführer unter Präsident Ahmadinedschad, zusammen mit Mir Hossein Mussavi, ebenfalls ein enthusiastischer Unterstützer der Fatwa), sowie vom ›stellvertretenden Kommandanten‹ der Revolutionswachen. Ayatollah Yazdi, Irans Oberrichter, sagte, alle Muslime mit ›entsprechenden Ressourcen‹ wären verpflichtet, diese Drohung in die Tat umzusetzen, und in London hatte der Gartenzwerg seinen Spaß, als er einer großen Versammlung die ›Zustimmung‹ zur Drohung entlockte, gleichzeitig aber hinzufügte, ihre Umsetzung habe ›mit britischen Muslimen nichts zu tun‹. Dies schien die neue Parteilinie zu sein. Liaquat Hussain vom Rat der Moscheen in Bradford sagte, ›Ist nichts heilig?‹ sei nichts als ein ›Werbegag‹. Rushdie müsse gar nicht unsichtbar bleiben, da er von Seiten der britischen Muslime nichts zu befürchten habe – er mache das nur, so Hussain, um die Kontroverse am Laufen zu halten und mehr Geld zu verdienen.
Ein Leitartikel der New York Times kritisierte Verleger und Politiker wegen ihrer Unentschlossenheit und ihrer Ausflüchte und lobte ihn, weil er »das Recht eines jeden Autors verteidigte, Bücher zu veröffentlichen, die beunruhigende Fragen stellten und neue Denkräume öffneten«. Angesichts des wachsenden Drucks bedeuteten ihm solch verständige Worte sehr viel.
Britische Muslime versuchten, ihn wegen Gotteslästerung und Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung zu verklagen, und wurden vor Gericht angehört. Geoffrey Robertson verteidigte seinen Fall, indem er sich auf die schlichte Tatsache berief, dass die Folgen der Gewalt zur moralischen Verantwortung jener gehörten, die die Gewalttaten ausübten. Wenn Menschen morden, liegt die Schuld bei den Mördern, nicht bei einem weit entfernt lebenden Romancier. Für die muslimische Sache war es auch nicht sonderlich hilfreich, dass der Richter am dritten Tag der Anhörung Drohbriefe erhielt. Letzten Endes aber sollten denn auch keinem der gerichtlichen Angriffe Erfolg beschieden sein. Die muslimischen Führer reagierten darauf mit ›Wut‹, nur die ›Islamische Partei Großbritanniens‹ ging so weit, die Aufhebung der Fatwa zu fordern, da der Autor offensichtlich ›verrückt‹ gewesen sei, als er das Buch schrieb. Zum ›Beweis‹ führte man eine öffentliche Erklärung der Direktorin der psychiatrischen Gesundheitsorganisation SANE an, die besagte, dass Die satanischen Verse eine der besten Beschreibungen von Schizophrenie enthielt, die sie je gelesen habe. Keith Vaz, der sich ein Jahr zuvor so begeistert den muslimischen Demonstranten angeschlossen hatte, nannte unterdessen die Todesdrohung im Guardian ›verabscheuungswürdig‹ und fuhr fort, dass es nun vorrangig gelte, sich für ihre Aufhebung einzusetzen.
In Jane Wellesleys Apartment war ein Festessen geplant, und Sameen, Bill, Pauline (deren Geburtstag es war), Gillon, Michael und Valerie Herr schlossen sich ihm und Marianne an, um einen Toast darauf auszusprechen, dass er dieses eine Jahr überlebt hatte. Er war froh, dem Haus in der Hermitage Lane für einen Abend entkommen zu können, da er anfing, es zu hassen, die feuchten Wände, das löchrige Dach, die billige Zimmermannsarbeit und ganz besonders die spärlichen Möbel. Das Haus war teuer, und er hatte sich noch nie derart gründlich über den Tisch gezogen gefühlt, aber er musste sich damit abfinden, weil es in London lag und eine angebaute Garage hatte. Am nächsten Tag kam Zafar, um über Nacht in dieser deprimierenden Unterkunft zu bleiben, und als er zusah, wie sein Sohn sich mit einer Hausaufgabe in Geometrie abplagte, wünschte er nichts sehnlicher, er könne wieder ein richtiger Vater sein und die Kindheit seines Sohnes miterleben, statt sie zu verpassen. Das war sein schwerster Verlust.
Marianne kam vorbei und schimpfte ihn aus, weil er sich die Zeit mit Videospielen vertrieb. Dank Zafar waren ihm der Klempner Mario und dessen Bruder Luigi ans Herz gewachsen, und manchmal schien ihm die Welt des Super Mario eine angenehme Alternative zu jener Welt zu sein, in der er den Rest seiner Zeit verbrachte. »Les lieber ein gutes Buch«, meinte seine Frau
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