Joseph Anton
Haus in der Hermitage Lane nahmen zu. Die Zentralheizung lief nicht mehr, und ein Klempner musste her. Mehrere Stunden versteckte er sich im Bad, überströmt vom schon gewohnten Schweiß der Scham. Dann kam ein Vertreter des Hauseigentümers zur Inspektion, und wieder hieß es für ihn, zurück ins Bad. Schließlich kam ein Handwerker, um feuchte Wandstellen auszubessern und sich um einen ernsthaften Wasserschaden an der Decke zu kümmern. Diesmal konnte sich der arme Joseph Anton nirgendwo verstecken, weshalb er, während der Handwerker sich im Wohnzimmer zu schaffen machte, die Treppe zur Garage hinabhuschen musste, vor einer Entdeckung nur durch eine geschlossene Zimmertür bewahrt, um dann eiligst fortgefahren zu werden. Ziellos kurvte der Jaguar durch die Stadt, verloren im Raum, während Dennis das Pferd ihm dreckige Witze erzählte, bis er Bescheid bekam, dass er zurückkehren konnte.
Genau das bedeutete es, unsichtbar zu sein. Eben noch hatte er mit Peter Weidhass telefoniert, dem Organisator der Frankfurter Buchmesse, der den Iran informierte, dass seine Verleger auf der Messe erst wieder willkommen wären, wenn die Fatwa aufgehoben wurde. Und dann versteckte er sich vor einem Handwerker. Er war ein Autor, der an einem Kinderbuch schrieb (und die Publikation einer Sammlung von Essays vorbereitete, die nach einem Artikel, den er einmal über die Beziehung eines heimatlosen Autors zur Heimat geschrieben hatte, Heimatländer der Fantasie heißen sollte), ebenso aber war er ein Flüchtling, der in einem verschlossenen Bad hockte und fürchtete, von einem westindischen Klempner entdeckt zu werden.
Einen Tag nachdem er dem Handwerker gerade noch entwischt war, beendete er eine brauchbare Fassung von Harun und das Meer der Geschichten , und sein Freund John Forrester, Dozent am King’s College in Cambridge, meldete sich, um anzudeuten, dass Aussicht auf einen Ehrendoktortitel bestehe, einen wie den, den man ›vor langer Zeit Morgan Forster verliehen‹ hatte. Die Vorstellung, einen Ehrentitel mit dem Verfasser von Auf der Suche nach Indien zu teilen, rührte ihn. Er sagte, er wäre begeistert, wenn es dazu käme. Mehrere Monate später rief John an, um ihm zu sagen, dass es nicht klappte. Zu viele Leute im College hatten zu viel Angst.
Es gab Ärger mit dem Haus in St. Peter’s Street. Sein altes Heim war verschlossen und unbewohnt, trotzdem lief irgendwas schief. Die Polizei sagte, das Anwesen sei nicht ›sicher‹. Es liege eine Meldung über eine undichte Gasleitung vor, und der Gasmann habe gewaltsam ins Haus eindringen müssen. Außerdem, so wurde ihm mitgeteilt, sei der Keller überschwemmt. Jemand musste hingehen und nachsehen. Seit dem Streit um Super-Mario hatte er mit Marianne kaum ein Wort gesprochen, doch war sie bereit, sich darum zu kümmern. Wie sich herausstellte, waren die Probleme kaum der Rede wert. Der Gasmann hatte eine Leiter ans Haus gestellt und war durch ein offenes Fenster im oberen Stock eingedrungen, die Haustür war unbeschädigt. Es gab keine undichte Leitung. Und im Keller war keine Überschwemmung, nur ein tröpfelnder Hahn, der sich problemlos reparieren ließ. Ma rianne kehrte schlecht gelaunt aus der St. Peter’s Street zurück und schnauzte ihn grundlos am Telefon an. »Ich wette«, schrie sie, »du hast nicht mal dein Bett gemacht.«
An jenem Abend wurde er zu Edward und Mariam Said in ihr Haus in der Eton Road in Swiss Cottage gebracht. Bis zu jenem Tag, an dem man bei Edward eine chronische lympathische Leukämie diagnostizierte, sollte noch ein Jahr vergehen; gegenwärtig war er jedenfalls rundum gesund, ein ausschweifender Redner, der gern lachte und viel gestikulierte, ein Universalgelehrter und Hypochonder. Wenn Edward in jenen Tagen husten musste, fürchtete er den Beginn einer ernsten Bronchitis, und wenn es im Bauch zwickte, war er davon überzeugt, dass sein Blinddarm geplatzt war. Als er dann tatsächlich krank wurde, erwies er sich erstaunlicherweise als ein wahrer Held, klagte kaum, kämpfte mit aller Macht gegen die Krankheit an und brach mit Hilfe seines hervorragenden Arztes Dr. Kanti Rai sämtliche Rekorde, so dass er noch zwölf Jahre lebte, nachdem der Krebs zum ersten Mal festgestellt worden war. Edward war ein Dandy, ein wenig eitel auf sein gutes Aussehen bedacht, und einmal, Jahre später, lang nach der Fatwa-Geschichte, aßen sie unweit der Columbia University zu Mittag und waren froh, sich in aller Öffentlichkeit treffen zu können, ganz ohne
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