Joseph Anton
Gefangenen machte, nicht zu jemandem, der beschützt wurde. Die Polizei hatte das Institut für zeitgenössische Kunst dahingehend informiert, dass man ihn, sollte er auftreten wollen, nicht beschützen könne. Beharre er trotzdem darauf, sagte Greenup, wäre das egoistisch und verantwortungslos; die Metropolitan Police könne ihm bei dieser Torheit jedenfalls nicht auch noch behilflich sein.
Die Leute vom ICA fanden die Aussage der Polizei natürlich ziemlich beunruhigend. Er sagte, er sei bereit, auch ohne Bodyguards zu kommen und den Vortrag zu halten, aber das hielt man für zu gefährlich. Schließlich musste er sich fügen. Er bot an, jemanden zu finden, der den Vortrag an seiner Stelle hielt, und diesen Vorschlag akzeptierte man mit Erleichterung. Harold Pinter war der Erste, den er fragte. Er erklärte die Situation und brachte seine Bitte vor. Ohne einen Augenblick zu zögern und gewohnt redselig antwortete Harold: »Ja.« Ende Januar durfte er Harold und Antonia Fraser in ihrem Haus besuchen, und am nächsten Tag, angefeuert von ihrer Begeisterung, ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit, schrieb er vierzehn Stunden am Stück und beendete die Arbeit an der endgültigen Fassung von ›Ist nichts heilig?‹ Gillon kam in die Hermitage Lane – da Cosima Somerset diese Wohnung gefunden hatte und die Literaturagentur den ›Strohmann abgab‹, durfte Gillon, der offizielle ›Mieter‹, ihn besuchen und wurde nach dem üblichen ›Abschüttel‹-Prozess zu ihm gebracht. Er saß in dem trostlosen, beigefarbenen, kaum möblierten Haus, um sowohl den Read-Vortrag als auch ›In gutem Glauben‹ zu lesen, eine explication de texte von Die satanischen Verse , zudem eine Bitte um ein besseres Verständnis für das Buch und seinen Autor, die als ungekürzter, siebentausend Wörter langer Artikel in der neuen Independent on Sunday erscheinen sollte. Gillon nahm die Texte mit und brachte den ICA -Vortrag zu Harold Pinter. Höchste Zeit, mit der Arbeit an Harun fortzufahren.
›In gutem Glauben‹ erschien am 4. Februar 1990, einem Sonntag. William Waldegrave, Staatssekretär im Außenministerium, rief Harold Pinter an, um zu sagen, dass ihm beim Lesen die Tränen gekommen seien. Die ersten muslimischen Reaktionen fielen erwartungsgemäß negativ aus, doch meinte er – vielleicht, weil er es wollte – eine leichte Veränderung im Ton dessen wahrzunehmen, was Shabbir Akhtar und sein Handlanger Tariq Modood zu sagen hatten. Es gab eine schlechte Neuigkeit: Die Familien der britischen Geiseln im Libanon planten ein Statement, in dem sie sich gegen eine Taschenbuchveröffentlichung aussprechen wollten. Am Dienstag, den 6. Februar, stand Harold dann im ICA auf der Bühne und las: ›Ist nichts heilig?‹ Der Vortrag wurde in der BBC Late Show ausgestrahlt. Er empfand eine ungeheure Erleichterung. Er hatte gesagt, was er zu sagen hatte. Seit einem Jahr tobte das Unwetter, und er fand, seine Stimme sei zu leise gewesen, um sie unter all den anderen, aus jedem Winkel der Erde brüllenden Stimmen und dem Jaulen der tosenden Winde der Bigotterie und der Geschichte herauszuhören. Nun hatte er sich bewiesen, dass er auch anders konnte. Im Tagebuch hielt er fest: »Die Reaktion auf IGG und INH ? gab mir enormen Auftrieb. Offenbar hat es eine echte Veränderung gegeben. Die Dämonisierung ist auf dem Rückzug, die Gegner scheinen verwirrt.« Freunde riefen an, beschrieben die Stimmung im ICA als ›warmherzig‹, ›elektrisierend‹, ›begeistert‹. Marianne war anderer Ansicht. Die Atmosphäre sei ›steril‹ gewesen. Sie fühlte sich, setzte sie hinzu, ›ungeliebt‹.
Drei Tage nach dem Read-Vortrag erneuerte Ayatollah Kahmenei im Freitagsgebet den Todesbefehl der iranischen Mullahkratie. Es wurde in der nun ein Jahr alten ›Rushdie-Affäre‹ zu einem vertrauten Muster: einem vermeintlichen Aufhellen der Wolken, einem Augenblick der Hoffnung folgte ein übler Tiefschlag – eine Steigerung, eine Erhöhung des Einsatzes. »Tja«, notierte er in sein Tagebuch, »noch habt ihr mich nicht.«
Nelson Mandela trat aus dem Schatten ins Sonnenlicht, ein freier Mann, und zu den zwölf Monaten voller Gräuel und Wunder reihte sich ein weiterer Augenblick heller Freude. Er sah Mandela aus langer Unsichtbarkeit auftauchen und begriff, wie wenig er selbst im Vergleich gelitten hatte. Genug, sagte er sich. An die Arbeit.
Doch der Valentinstag jährte sich. Clarissa rief an, um ihm zum Jahrestag alles Gute zu wünschen. Harold meldete
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