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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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angekommen. Es kam ihnen wie ein Omen vor, obwohl er natürlich nicht an Ominöses glaubte. »Es war ein sonniger Tag«, sagte er. »Und kalt.« Dann erzählte er ihr vom Cumberland Hotel und davon, wie er im TV zum ersten Mal Familie Feuerstein gesehen hatte und dann die für ihn völlig unverständliche Vorabendserie Coronation Street mit der entsetzlichen, Haarnetz tragenden Wichtigtuerin Ena Sharples. Er beschrieb die Schokoshakes im Lyon Corner House, die Brathähnchen im Kardomah Takeaway und erzählte, auf den Reklametafeln hätte SCHÄL EINE BANANE für Fyffes gestanden und für Schweppes TONIC WATER VON PSSSST … SIE WISSEN SCHON VON WEM . Sie sagte: »Kannst du am Montag? Ich kümmere mich ums Abendessen.«
    Die Polizei machte sich Sorgen, weil er zum dritten Mal in vier Tagen zur selben Adresse wollte, aber er bestand darauf, und die Beamten gaben nach. An jenem Abend erzählte sie etwas aus ihrem Leben, hielt sich aber in vielem bedeckt, und er spürte wieder dieses Leid der Kindheit, die früh verlorene Mutter, der alternde Vater, das seltsame Aschenputtelleben bei den Verwandten, die sie aufnahmen. Es gab da eine Frau, ihren Namen wollte sie nicht nennen, die sehr unfreundlich zu ihr gewesen war und die sie nur die Frau nannte, die sich damals um mich gekümmert hat . Schließlich fand sie ein wenig Glück bei einer älteren Kusine namens Carol Knibb, die für sie zur zweiten Mutter wurde. Sie studierte Literatur an der Warwick University. Und ihr gefielen seine Romane. Sie redeten stundenlang, dann hielten sie Händchen, dann küssten sie sich. Als er auf die Uhr sah, war es halb vier morgens, für Aschenputtel viel zu spät, wie er sagte, und im Nebenzimmer hockten extrem müde, griesgrämige Polizisten. »Sehr interessiert«, schrieb er ins Tagebuch. »Sie ist klug, sanft, verletzlich, schön und liebevoll.« Ihr Interesse für ihn fand er unergründlich und mysteriös. Wie immer wählte die Frau, dachte er, dem Mann blieb nur übrig, den Sternen für sein Glück zu danken.
    Sie musste ihre Kusine Carol in Derbyshire besuchen, danach folgte ein lang geplanter Urlaub mit einer Freundin, weshalb sie sich einige Wochen nicht sehen konnten. Sie rief vom Flughafen an, um sich zu verabschieden, und er wünschte sich, sie würde nicht fliegen. Er begann seinen Freunden von ihr zu erzählen – Bill Buford, Gillon Aitken –, außerdem bat er Dick Billington, den leitenden Beamten seines Teams, man möge sie auf ›die Liste‹ setzen, damit sie ihn in Wimbledon besuchen konnte. Als er das sagte, wusste er, dass er eine große Entscheidung getroffen hatte. »Wir werden sie überprüfen müssen, Joe«, erwiderte Dick Billington. Eine negative Überprüfung war schneller als eine positive Überprüfung . Positive Überprüfungen dauerten länger, Leute mussten interviewt werden, Beinarbeit war gefragt. »Das wird in diesem Fall wohl unnötig sein«, erklärte Dick. Vierundzwanzig Stunden später hatte Elizabeth den Test bestanden; offenbar gab es in ihrer Vergangenheit keine zwielichtigen Gestalten, keine Agenten des Iran oder des Mossad. Er rief sie an. »Ich möchte das mit uns«, sagte er. »Wie schön«, erwiderte sie, und so fing es an. Zwei Tage später lud sie Liz Calder (die aus dem Urlaub heimgekehrt war) zu einem Drink ein und sagte ihr, was passiert war, dann fuhr sie mit dem Rad zum Haus in Wimbledon und blieb über Nacht. Am Wochenende blieb sie beide Nächte. Sie besuchten Angela Carter, hatten Dinner in Mark Pearce’ Haus in Clapham, und auch Angela, die nicht leicht zu beeindrucken war, schien einverstanden. Zafar war ebenfalls wieder in London; er kam und schien sich auf Anhieb mit Elizabeth zu verstehen.
    Es gab so viel zu bereden. An ihrem dritten Abend in Wimbledon blieben sie bis fünf Uhr morgens wach, erzählten einander Geschichten, dösten, liebten sich. Er konnte sich nicht daran erinnern, je eine solche Nacht erlebt zu haben. Etwas hatte begonnen. Sein Herz war randvoll. Elizabeth hatte es aufgefüllt.
    Harun kam bei den ersten Lesern gut an. Dieses kleine Buch, geschrieben, um ein Versprechen einzulösen, das er einem Kind gegeben hatte, besaß durchaus das Zeug, sich zu seinem meistgeliebten Prosawerk zu mausern. Er fand, Gefühls- wie Arbeitsleben hatten eine Hürde genommen, weshalb ihm die lächerlichen Umstände, die ihm aufgezwungen wurden, noch unerträglicher vorkamen. Zafar sagte, er würde gern Skiurlaub machen. »Du könntest mit deiner Mum fahren, und ich bezahl’«,

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