Joseph Anton
Ereignisse der großen, weiten Welt fanden ihren Widerhall auch in seiner Redoute in Wimbledon. Am 2. August 1990 marschierte Saddam Hussein in Kuwait ein, und während der Krieg mit dem Irak immer näher rückte, beeilte sich das britische Außenministerium, die Beziehungen zum Iran zu verbessern. In aller Eile versetzten Amerika und Großbritannien ihre Truppen in Gefechtsbereitschaft. Plötzlich redete auf britischer oder iranischer Seite kein Mensch mehr vom ›Fall Rushdie‹, und Frances D’Souza rief an, um ihm zu sagen, dass sie fürchte, man würde ihn ›umgehen‹. Er telefonierte mit Michael Foot, der versuchen wollte, mehr herauszufinden. Am nächsten Tag rief Michael an, um ihm zu sagen, man habe ihn ›beruhigt‹, was er überhaupt nicht beruhigend fand. Duncan Slater, sein Mann im Außen- und Commonwealth-Ministerium, bat ihn, noch ein ›versöhnliches Statement‹ zu schreiben, das man ›im Bedarfsfall‹ vorlegen könne. Es sei schwer zu sagen, meinte er, wohin der Iran ›springt‹. Man könnte die internationale Krise nutzen, um ›die Probleme mit den Briten zu lösen‹, vielleicht aber denke man auch, man könne jetzt Druck ausüben, um die Beziehungen zu verbessern, ohne irgendwelche Konzessionen machen zu müssen.
In einer öffentlichen Bibliothek in Rochdale in Lancashire wurde eine Brandbombe gezündet.
Er hatte mit Liz Calder vereinbart, dass er, solange sie mit Clarissa und Zafar Urlaub machte, ihre Londoner Wohnung nutzen durfte, um sich dort mit einem amerikanischen Journalisten und einigen Freunden zu treffen. Liz sagte, eine Kollegin namens Elizabeth West, Lektorin bei Bloomsbury, sähe ab und zu in der Wohnung vorbei, um ihren Papagei Juju zu füttern.
»Vielleicht solltest du mit ihr Kontakt aufnehmen, ehe du in die Wohnung gehst«, sagte Liz, »damit ihr beide nicht irgendwelche unangenehmen Überraschungen erlebt.« Also rief er Elizabeth an und erzählte ihr, was er vorhatte. Sie telefonierten überraschend lang und lachten viel, und am Ende schlug er vor, nach dem Gespräch mit dem Journalisten noch in der Wohnung zu bleiben; sie könnten doch in aller Ruhe ein wenig über Papageienpflege plauschen. Die Polizei kaufte entsprechend seinen Anweisungen drei Flaschen Rotwein, darunter auch einen kräftigen Tignanello aus der Toskana. Und dann folgte unter dem wachsamen Blick des Papageis ein Dinner bei Kerzenlicht, mit Lachs, Kressesalat und viel zu viel Rotwein.
Die Liebe kommt nie aus der Richtung, in der man sie sucht. Sie kommt hinterrücks und watscht einem aufs Ohr. Seit Marianne fort war, hatte es einige Telefonflirts gegeben und ganz selten auch Treffen mit Frauen, die, wie er sich ziemlich sicher war, vor allem Mitleid mit ihm empfanden. Zafars letztes Au-pair, eine attraktive Norwegerin, hatte gesagt: Sie können mich anrufen, wenn Sie mögen . Höchst unerwartet war auch der klare Beweis sexuellen Interesses seitens einer liberalen muslimischen Journalistin. Das waren Strohhalme gewesen, an die er sich geklammert hatte, um nicht unterzugehen. Dann traf er Elizabeth West, und es geschah, was nie vorherzusehen ist: Der Funke sprang über. Nicht das Schicksal, sondern der Zufall regiert das Leben. Hätte es keinen durstigen Papagei gegeben, hätte er womöglich nie die künftige Mutter seines zweiten Sohnes kennengelernt.
Am Ende ihres ersten Abends wusste er, dass er sie so bald wie möglich wiedersehen wollte. Er fragte sie, ob sie am nächsten Tag Zeit hatte, und sie sagte ja, hätte sie. Um acht Uhr abends wollten sie sich erneut in Liz’ Wohnung treffen, und es schockierte ihn, wie tief die Gefühle bereits waren, die er für sie empfand. Sie hatte langes, volles, kastanienbraunes Haar, ein strahlendes, sorgloses Lächeln und radelte in sein Leben, als wäre nichts dabei, als würde der ganze bedrückende Apparat von Einschränkungen, Angst und Personenschutz gar nicht existieren. Er fand, das war echter, außergewöhnlicher Mut: die Fähigkeit, in unnormalen Situationen normal zu handeln. Sie war vierzehn Jahre jünger, doch lag ihrem unbekümmerten Äußeren ein Ernst zugrunde, der von Erfahrung kündete und auf jene Art Reife verwies, die erst durch Leid entsteht. Es wäre absurd gewesen, nicht von ihr bezaubert zu sein. Schon bald stießen sie auf einen seltsamen Zufall: Auf dem Weg zur Rugby School hatte er in Begleitung seines Vaters zum ersten Mal englischen Boden betreten an dem Tag, an dem sie geboren wurde. Sie waren also beide am selben Tag
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