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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Nachts, sobald das Licht ausging, begannen die Metallgestelle der Betten zu scheppern, wenn die Jungen ihren pubertären Trieben nachgaben, und das Klappern der Betten, die gegen Heizrohre stießen, erfüllte den großen dunklen Saal mit der Nachtmusik unaussprechlichen Verlangens. In dieser wie in allen anderen Angelegenheiten versuchte er, es seinen Mitschülern gleichzutun. Noch einmal: Er war seiner Veranlagung nach kein Rebell. In jenen frühen Zeiten zog er die Rolling Stones den Beatles vor, und nachdem ihn einer seiner freundlicheren Wohngenossen, ein ernster, engelhafter Junge namens Richard Shearer, aufgefordert hatte, sich Freewheelin’ Bob Dylan anzuhören, wurde er ein enthusiastischer Dylan-Fan; doch blieb er im Grunde ein Konformist.
    Trotzdem rebellierte er fast sofort nach seiner Ankunft in Rugby. Die Schule bestand darauf, dass sich alle Jungen für die CCF anmeldeten, die Vereinte Kadettentruppe, um mittwochnachmittags in voller militärischer Khakimontur Kriegsspielen im Dreck zu frönen. Er gehörte nicht zu jenen Jungen, die an so etwas Spaß fanden – im Gegenteil, ihm kam es wie Folter vor –, weshalb er gleich in der ersten Schulwoche zu seinem Hauslehrer Dr. George Dazeley ging, Typ halb sanftmütiger, halb irrsinniger Wissenschaftler mit strahlendem, erbarmungslosem Lächeln, um ihm zu erklären, dass er bei den Kadetten nicht mitmachen wolle. Dr. Dazeley erstarrte, strahlte und wies in etwas eisigem Ton darauf hin, dass es den Jungen nicht möglich war, sich der Kadettentruppe zu entziehen. Der Junge aus Bombay, plötzlich von ungewohntem Trotz beseelt, richtete sich zu ganzer Größe auf. »Sir«, sagte er, »die Generation meiner Eltern hat erst vor kurzem einen Befreiungskrieg gegen das britische Weltreich geführt, weshalb ich mich außerstande sehe, mich jetzt seinen bewaffneten Truppen anzuschließen.« Dieser unerwartete Ausbruch postkolonialer Leidenschaft machte Dr. Dazeley sprachlos, und erst nach einer Weile gab er kleinlaut bei: »Na ja, dann solltest du wohl besser auf deinem Zimmer bleiben und lesen.« Als der junge Kriegsdienstverweigerer das Büro verließ, deutete Dazeley auf ein Bild an der Wand: »Das da ist Major William Hodson«, sagte er. »Der Hodson von Hodson’s Horse. Er war Schüler in Bradley House.« William Hodson war jener britische Kavallerieoffizier gewesen, der nach der Niederschlagung des indischen Aufstandes von 1857 (in Rugby wurde er nur die indische Meuterei genannt) den letzten Mogulherrscher, den Dichter Bahadur Shah Zafar, gefangen nahm und seine drei Söhne ermordete, sie nackt auszog, erschoss und ihnen allen Schmuck abnahm, um ihre Leichen dann von einem der Stadttore Delhis herabzuwerfen, das von da an den Namen Khooni Darvaza tragen sollte, das Bluttor. Dass dieser Hodson vormals ein Schüler von Bradley House gewesen war, machte den jungen indischen Rebellen noch stolzer darauf, sich jener Armee verweigert zu haben, in der einst auch der Scharfrichter der Mogulprinzen gedient hatte. Dr. Dazeley setzte noch unbestimmt und vermutlich unrichtigerweise hinzu, dass Hodson als eines der Vorbilder für Flashman gelte, den Schultyrannen in Thomas Hughes’ Rugby-Roman Tom Brown’s Schooldays . Eine Statue von Hughes stand auf dem Rasen vor der Schulbibliothek, der tonangebende Veteran in Bradley House aber war ein Mann, der angeblich Modell für den berühmtesten Tyrannen in der englischen Literaturgeschichte gestanden hatte. Das fand er nur allzu passend.
    Was man in der Schule lernt, ist nicht immer das, was die Schule zu unterrichten meint.
    Während der nächsten vier Jahre verbrachte er die Mittwochnachmittage damit, aus der Stadtbücherei entliehene, in gelbe Schutzumschläge gehüllte Science-Fiction-Romane zu lesen und dabei Eiersalatsandwiches und Kartoffelchips zu essen, Coca-Cola zu trinken und Two-Way Family Favorites am Transistorradio zu hören. Er wurde ein Experte für das sogenannte goldene Zeitalter der Science-Fiction-Literatur und verschlang Meisterwerke wie Isaac Asimovs Ich, der Robot , in dem die drei Robotergesetze festgehalten wurden; Philip K. Dicks Die drei Stigmata des Palmer Eldritch , Zenna Hendersons Pilger -Romane, die wilden Fantasien des L. Sprague de Camp und ganz besonders Arthur C. Clarkes packende Kurzgeschichte ›Die neun Milliarden Namen Gottes‹, die davon handelt, dass die Welt still und leise ihr Ende findet, sobald ihr geheimer Zweck, das Aufzählen aller Namen Gottes, von einer Schar buddhistischer

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