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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Mönche mit einem Supercomputer erfüllt wurde. (Wie sein Vater war er von Gott fasziniert, auch wenn ihm die Religion selbst nicht sonderlich zusagte.) Es war sicher nicht die größte Revolution in der Geschichte, dieser viereinhalb Jahre währende, von Schulkiosksnacks befeuerte Sturz ins Fantastische, doch jedes Mal, wenn er seine Schulkameraden von ihren Kriegsspielen hereinstolpern sah, erschöpft, verdreckt und mit blauen Flecken übersät, wurde er daran erinnert, dass es durchaus lohnenswert sein konnte, sich zu behaupten.
    Was Gott anging: Letzte Glaubensreste beseitigte seine gehörige Abneigung gegen die Architektur der Kapelle von Rugby. Viele Jahre später, als er zufällig wieder einmal in die Stadt kam, schockierte ihn, wie schön Herbert Butterfields neogotischer Bau in Wirklichkeit war. Während seiner Schulzeit hatte er ihn schrecklich gefunden und in dieser von Science-Fiction geprägten Phase seines Lebens gedacht, dass die Kapelle Ähnlichkeit mit einer aus Ziegelsteinen errichteten Rakete kurz vor dem Start habe. Als er eines Tages im Lateinunterricht aus dem Fenster seines Klassenzimmers in der New Big School schaute, fragte er sich: ›Was für ein Gott will in einem derart hässlichen Gebäude hausen?‹ Und fast im selben Augenblick kannte er die Antwort: Natürlich wird kein Gott, der etwas auf sich hält, dort leben wollen – offensichtlich gab es also keinen Gott, nicht einmal einen mit schlechtem Geschmack in Sachen Architektur. Am Ende der Lateinstunde war er überzeugter Atheist, und um sich dies zu beweisen, marschierte er in der Pause schnurstracks zum Kiosk und kaufte sich ein Schinkensandwich. An jenem Tag berührten seine Lippen zum allerersten Mal Schweinefleisch, und dass der Allmächtige ihn nicht mit Blitz und Donner vernichtete, bekräftigte nur, was er schon lang vermutet hatte: dass es da oben niemanden gab, der Blitze schleudern konnte.
    In einem Jahr übte die Schule den ›Halleluja-Chor‹ als Teil einer Aufführung des Händel’schen Messias mit professionellen Solisten ein. Er machte bei den vorgeschriebenen Frühgebeten und Abendandachten mit – da er in Bombay zur Cathedral School gegangen war, konnte er schlecht Einwände vorbringen, die es ihm erspart hätten, christliche Gebete murmeln zu müssen – ebenso wenig, wie er leugnen konnte, dass ihm die Choräle gefielen, deren Musik sein Herz erfreute. Nicht alle Choräle wohlgemerkt. So hätte er gut verzichten können auf: seh’ ich das herrliche Kreuz, an dem verstarb der Ruhmesfürst , doch wird ein einsamer Junge wohl unweigerlich ergriffen, wenn er singt: Freundliches Licht, um mich ist Finsternis: Führ mich heim, und leuchte vor mir her. Er sang gern ›Nun freut euch, ihr Christen‹ auf Latein, da dies dem Lied irgendwie den religiösen Stachel nahm: venite, venite in Bethlehem . Ihm gefiel auch ›O bleibe, Herr!‹, wurde ›Abide with Me‹ doch von über hunderttausend Fans vor dem FA Cup Final im Wembley-Stadion gesungen; und bei jenem Choral, den er nur den ›Geografie-Choral‹ nannte, ›Das Licht des Tages ist zerronnen, o Herr‹, packte ihn stets leises Heimweh: Wenn müde wir zur Ruh uns legen, so ruht doch deine Erde nicht. Sie dreht der Sonne sich entgegen, zu andern Menschen kommt das Licht . Den im englischen Text westlichen Himmel ersetzte er für sich natürlich durch einen östlichen . Die Sprache des Unglaubens war deutlich ärmer als die des Glaubens, doch sollte die Musik des Unglaubens rasch aufholen, so dass, als ihm während der Teenagerjahre die goldene Zeit der Rockmusik die Ohren mit ihren Lieblingsklängen füllte, dem I can’t get no und hard rain und try to see it my way und da doo ron ron , selbst die Choräle ein wenig von ihrer Macht zur Rührung verloren. Aber es gab in der Kapelle von Rugby noch so manch anderes, was das ungläubige Herz eines Bücherwurms zu bewegen vermochte: die Gedenkandachten an Matthew Arnold und dessen unwissende Armeen, die des Nachts aufeinanderprallten, und Rupert Brooke, gestorben infolge eines Mückenstichs, als er eine solche Armee bekämpfte, seine Leiche in irgendeinem Winkel auf fernem Feld, das auf immer England sein würde; vor allem aber der Stein zum Gedenken an Lewis Carroll, der Stein mit Tenniels Silhouetten in schwarz-weißem Marmor, die an den Rändern eine – wie? ja, genau – Art Quadrille tanzten. »Will nicht, kann nicht, will nicht, kann nicht, will mich dem Tanz nicht anschließen«, sang er leise vor sich hin.

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