Joseph Anton
hervorragend, dass es selbst den Arzt erstaunte. Offenbar hatte sein Körper gar nicht mitbekommen, dass er unter Stress lebte. Ihm ging es blendend, und die allbekannten Schutzengel der Gestressten – Ambien, Valium, Zoloft und Xanax – wurden nicht zur Hilfe gerufen. Er hatte keine Erklärung für seine ausgezeichnete Verfassung (er schlief sogar gut), nur die, dass sich die geschmeidige Maschinerie seines Körpers irgendwie auf die Situation eingestellt hatte. Er begann, Des Mauren letzter Seufzer zu schreiben, der Held ein Mann, der doppelt so schnell alterte wie normal. Des Mauren Zogoiby Leben verlief zu rasch, also näherte sich der Tod früher, als er sollte. Die lebenslange Beziehung seines Helden zur Angst spiegelte jene des Autors. Ich werde Ihnen ein Geheimnis über die Angst verraten, sagte der Maure . Sie ist wie ein absolutistischer Herrscher. Bei der Angst heißt es: Alles oder nichts. Entweder sie ruiniert einem, mit einer stupiden, blinden Omnipotenz wie ein brutaler Tyrann, das ganze Leben, oder man überwindet sie, und ihre Macht verpufft wie eine Rauchwolke. Und noch ein Geheimnis: Die Revolution gegen die Angst, der Versuch, diesen aufgeblasenen Despoten zu stürzen, hat mehr oder weniger nichts mit Courage zu tun. Sie wird von etwas weitaus Unkomplizierterem ausgelöst – dem schlichten Bedürfnis weiterzuleben. Ich hörte auf, Angst zu haben, weil ich, wenn meine Zeit auf Erden begrenzt war, keine Sekunde Zeit für Fracksausen hatte.
Er hatte keine Zeit, angstschlotternd in der Ecke zu hocken. Natürlich hatte er viele Gründe, sich zu fürchten, und er spürte, wie ihm der Gremlin der Kleinmut auflauerte, wie das fledermausflügelige Angstungeheuer auf seiner Schulter hockte und eifrig an seinem Hals knabberte, doch hatte er begriffen, dass er, wenn er funktionieren wollte, einen Weg finden musste, diese Biester loszuwerden. Er malte sich aus, wie er all diese Gremlins in einer kleinen Kiste fing und die verschlossene Kiste dann in eine Zimmerecke stellte. Sobald das getan war, und manchmal musste er das mehrmals am Tag tun, konnte er weitermachen.
Elizabeth wurde auf schlichtere Weise mit ihrer Angst fertig. Solange die Teams des Special Branch da waren, redete sie sich ein, seien sie in Sicherheit. Bis zum Ende ihrer Zeit unter Personenschutz zeigte sie nie auch die geringsten Anzeichen von Furcht. Die Freiheit machte ihr größere Angst. In der Seifenblasenwelt des Personenschutzes fühlte sie sich die meiste Zeit geborgen.
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Ihm bot sich die Gelegenheit, einen neueren, bequemeren Wagen als die alten Jaguars und Range Rovers der Polizeiflottille zu kaufen, eine gepanzerte BMW -Limousine, deren vorheriger Besitzer der Billigkleidermillionär Sir Ralph Halpern war, Gründer der Ladenkette Topshop, besser bekannt als ›Fünf-Mal-die-Nacht‹-Ralph, seit eine junge Geliebte mit der Regenbogenpresse geplaudert hatte. »Wer weiß, was auf den Rücksitzen nicht alles passiert ist«, sinnierte Dennis das Pferd. »Trotzdem, Sir Ralphs Bimbomobil ist ein guter Kauf.« Das Auto war hundertvierzigtausend Pfund wert, wurde aber für fünfunddreißigtausend angeboten. »Ein Schnäppchen«, wie Dennis das Pferd erklärte. Es sei sogar denkbar, deutete die Polizei an, dass er selbst auch mal ans Steuer durfte, wenn sie außerhalb Londons über Landstraße fuhren. Und im Gegensatz zum Polizeijaguar ließen sich die kugelsicheren Fenster öffnen. Sofern es die Sicherheit gestattete, könnte also frische Luft geatmet werden.
Er kaufte den Wagen.
Als er zum ersten Mal in diesem Wagen chauffiert wurde, brachte man ihn zu Spy Central. Das Hauptquartier des britischen Geheimdienstes SIS , den Fans von James Bond wohlbekannt, liegt an der Themse gleich gegenüber von Random House, hockt da fast wie ein Autor, der einen guten Verleger braucht. John le Carré nannte den SIS in seinen Smiley-Romanen den ›Zirkus‹, weil die Büros angeblich am Cambridge Circus lagen, was geheißen hätte, dass die Schlapphüte heute auf Andrew Lloyd Webbers Palace Theatre blickten. Manch einer der Beamten des SIS nannte den Geheimdienst auch ›Fach 850‹ nach einer einst vom MI 6 benutzten Postfachadresse. Im Zentrum des Spionagelandes saß jene Person, die im wahren Leben nicht M hieß, nein, der Leiter des MI 6 – längst kein Geheimnis mehr – wurde C genannt. Bei jenen wenigen Gelegenheiten, bei denen es Mr Anton aus der Hampstead Lane, später Bishop’s Avenue, gestattet wurde, die schwerbewachten Tore zu
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