Joseph Anton
hatte, um mit ihm über ›literarische Fragen‹ zu reden. Kaum war der Mann in Capriolos Haus, verlangte er ›Salman Rushdies Adresse‹ und griff, als er die nicht bekam, den Übersetzer an, trat ihn und stach wiederholt auf ihn ein, ehe er fortrannte und Capriolo blutend am Boden zurückließ. Nur durch großes Glück überlebte der Übersetzer.
Als Gillon ihm sagte, was passiert war, packte ihn unwillkürlich das Gefühl, er selbst sei schuld an diesem Überfall. Seine Feinde waren so gut darin gewesen, ihm die Schuld anzulasten, dass er nun selbst daran glaubte. Er schrieb Mr Capriolo, um sein Mitgefühl auszudrücken sowie die Hoffnung, der Übersetzer möge rasch und vollständig genesen. Eine Antwort hat er nie erhalten. Später hörte er von seinen italienischen Verlegern, dass Capriolo nicht gut auf ihn zu sprechen sei und sich weigere, künftige Bücher von ihm zu übersetzen.
So nah war die Fatwa ihrem Ziel also gekommen. Und nachdem ihr schwarzer Pfeil Ettore Capriolo getroffen hatte, flog er weiter nach Japan. Acht Tage später fand man an der Universität von Tsukuba, nordöstlich von Tokio, Hitoshi Igarashi, den japanischen Übersetzer von Die satanischen Verse, ermordet in einem Aufzug unweit von seinem Büro. Professor Igarashi war ein Gelehrter der arabischen und persischen Kultur, der zum Islam übergetreten war, was ihn aber nicht rettete. Gesicht und Arme waren mit Messerstichen übersät. Der Mörder wurde nie gefasst. Viele Gerüchte über den Killer drangen nach England. Er war ein erst kürzlich nach Japan eingereister Iraner. Man fand einen Fußabdruck im Blumenbeet, und Schuhe dieser Art gab es nur in China. Die Namen von Reisenden, die aus einem chinesischen Hafen nach Japan gefahren waren, wurden mit den Namen bekannter islamischer Terroristen verglichen, und es gab, wurde ihm gesagt, eine Übereinstimmung, doch hat man den Namen nie bekanntgegeben. Japan produzierte selbst kein Öl und bezog das benötigte Rohöl überwiegend aus dem Iran. Die japanische Regierung hatte sogar versucht, die Veröffentlichung seines Buches zu verhindern, indem sie führende Verlagshäuser bat, keine japanische Ausgabe von Die satanischen Verse herauszubringen. Man wollte nicht, dass die Ermordung Igarashis die Beziehungen zum Iran verschlechterte. Der Vorfall wurde unter den Teppich gekehrt und keine Anklage erhoben. Ein unbescholtener Mann war tot, doch durfte sein Tod nicht stören.
Japans Pakistan-Vereinigung hielt nicht still. Sie jubelte. »Heute dürfen wir einander gratulieren«, hieß es in einem Statement. »Gott hat dafür gesorgt, dass Igarashi bekam, was er verdiente. Alle sind sehr glücklich.«
Er schrieb einen schmerzvollen, entschuldigenden Brief an Hitoshi Igarashis Witwe. Er erhielt keine Antwort.
Überall auf der Welt trafen Attentäter ihre Ziele. In Indien wurde Rajiv Gandhi ermordet, als er sich während einer Wahlkampagne in der Stadt Sriperumbudur im Süden des Landes aufhielt. Er glaubte, die Wahl von 1989 auch deshalb verloren zu haben, weil durch die Einhaltung strikter Sicherheitsvorschriften das Bild eines distanzierten, fernen Mannes von ihm gezeichnet worden war. Diesmal war er fest entschlossen, das Volk dicht an sich heranzulassen. So gelang es einer Frau namens Dhanu, Selbstmordattentäterin der Tamil Tigers, in seine unmittelbare Nähe zu gelangen und ihren Sprengstoffgürtel zu zünden. Ein neben Rajiv stehender Fotograf kam ebenfalls ums Leben, doch blieb die Kamera intakt, und ihr Film zeigte Bilder von seiner Ermordung. Es war nicht leicht, genug vom ehemaligen Premierminister zu finden, das sich verbrennen ließ.
In London versuchte er, sich ein lebbares Leben aufzubauen, trauerte um Hitoshi Igarashi, erkundigte sich täglich nach Ettore Capriolos Gesundheit und hoffte, dass er, wenn die Reihe an ihn kam, niemanden mit in den Tod riss, nur weil der ihm zu nahestand.
Joseph Anton, du musst leben, bis du stirbst.
*
Zafars Besuche bei der von der Schule empfohlenen Therapeutin Clare Chappell hatten geholfen. Er kam jetzt gut zurecht, und es machte ihn stolz, dass seine Lehrer sich über seine besseren Leistungen freuten. Mittlerweile bereitete ihm Elizabeths Wohlbefinden größere Sorgen. Sie hatten sich alle Mühe gegeben, ihre Beziehung geheim zu halten; nur der innerste Freundeskreis wusste Bescheid darüber, trotzdem drang ihre Geschichte an die Öffentlichkeit. »Im Büro wissen alle Bescheid«, sagte Elizabeth. »Ich stand den ganzen Tag unter
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