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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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überwinden musste.
    *
    Die britische Geisel John McCarthy wurde im Libanon freigelassen.
    Die Leiter des ›A‹-Kommandos entschieden, dass es an der Zeit sei, Zafar einen Besuch bei seinem Vater in der Hampstead Lane 30 zu erlauben . Mr Greenup meinte anfangs, dem Jungen müssten die Augen verbunden werden, damit er die Adresse nicht verraten könne, doch kam das gar nicht in Frage, und Greenup beharrte auch nicht darauf. An jenem Nachmittag also wurde Zafar zum Haus gebracht; seine Freude erhellte das hässliche Innere und machte es beinahe schön.
    Frances rief an, aufgeregt. Man hatte sie gebeten, ihm im Vertrauen mitzuteilen, dass er für Harun und das Meer der Geschichten den Writers‹ Guild Award für das beste Kinderbuch des Jahres erhielt. »Sie fänden es toll, wenn du irgendwie kommen und den Preis persönlich entgegennehmen könntest.« Ja, sagte er, er fände es auch toll, wenn das möglich wäre. Er besprach sich mit Michael Foot, der meinte: »Gut, die Stimmung hat sich geändert. Wir müssen Hurd noch einmal treffen und unsere Forderungen viel nachdrücklicher stellen.« Er liebte Michaels Lust auf Auseinandersetzungen, die mit fortschreitendem Alter kein bisschen abgenommen hatte. Diese Streitlust und seine Liebe für Whisky, mit der es wohl nur die von Christopher Hitchens aufnehmen konnte. Wenn er mit Michael trank, war es mehr als einmal nötig gewesen, seinen Scotch in eine der Topfpflanzen zu kippen.
    Er erzählte der Polizei vom Writers’ Guild Award. Die Zeremonie sollte am 15. September im Dorchester Hotel stattfinden. Das Team der Personenschützer sog scharf die Luft ein und stieß ablehnende Laute aus. »Keine Ahnung, wie die das in der Zentrale aufnehmen«, sagte Benny Winters und sah in seiner flotten braunen Lederjacke ein wenig wie Lenny Kravitz mit kurzem Haar aus. »Aber wir tragen’s natürlich weiter.« Das Ergebnis dieses Weitertragens war ein Besuch von einem äußerst grimmig dreinblickenden Mr Greenup, der in Begleitung von Helen Hammington auftauchte, einer hohen Beamtin, die anfangs kaum ein Wort sagte.
    »Tut mir leid, Joe«, sagte Mr Greenup. »Aber ich kann das nicht erlauben .«
    »Sie wollen mir nicht erlauben , in die Park Lane zu fahren, um meinen Literaturpreis entgegenzunehmen«, erwiderte er bedächtig. »Sie wollen mir das nicht erlauben , obwohl nur eine Person, nämlich der Organisator dieser Veranstaltung, im Voraus Bescheid wissen muss. Ich könnte kommen, wenn die Leute bereits zum Dinner Platz genommen haben, könnte zehn Minuten vor der Verleihung eintreffen, den Preis entgegennehmen und wieder verschwinden, ehe die Feier endet. Das also wollen Sie mir nicht erlauben ?«
    »Aus Sicherheitsgründen«, sagte Mr Greenup und schob den Unterkiefer vor, »wäre das höchst unratsam.«
    Er holte tief Luft. (Zum Dank dafür, dass er mit dem Rauchen aufgehört hatte, litt er nun unter spätem Asthma, weshalb er manchmal nur ungenügend Luft bekam.) »Wissen Sie«, sagte er, »bislang war ich der Auffassung, als freier Bürger in einem freien Land zu leben, weshalb es Ihnen wohl kaum ansteht, mir irgendetwas zu erlauben oder nicht zu erlauben .«
    Mr Greenup verlor die Beherrschung. »Und in meinen Augen«, sagte er, »gefährden Sie infolge Ihres Verlangens nach Selbstverherrlichung die Bürgerschaft Londons.« Das war ein erstaunlich durchformulierter Satz – infolge, Bürgerschaft, Selbstverherrlichung –, und er sollte ihn nie wieder vergessen. Ein entscheidender Augenblick – das, was Henri Cartier-Bresson le moment décisif genannt hatte – war gekommen.
    »Wissen Sie«, sagte er, »ich sehe das so. Ich weiß, wo das Dorchester Hotel ist, und zufällig habe ich auch genug Geld, um ein Taxi bezahlen zu können. Also werde ich zur Preisverleihung fahren. Und Sie müssen nur die Frage beantworten, ob Sie mich begleiten wollen.«
    Helen Hammington mischte sich ins Gespräch ein und sagte, dass sie Mr Greenup als für diesen Fall verantwortlichen Beamten im Yard ablösen werde. Was für eine wunderbare Neuigkeit. Dann wandte sie sich an Mr Greenup. »Ich denke, wir kriegen das hin.« Greenup lief knallrot an, sagte aber kein Wort. »Es wurde beschlossen«, fuhr Hammington fort, »dass wir Ihnen vermutlich erlauben sollten, öfter einmal auszugehen.«
    Zwei Tage später war er im Dorchester im Schoß der Bücherwelt und erhielt seinen Preis, ein gläsernes Tintenfass auf einem Holzpiedestal. Er dankte den Zuhörern im Saal für ihre Solidarität und

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