Joseph Anton
der Frankfurter Buchmesse, wollte wieder iranische Verleger einladen; ein Proteststurm in Deutschland verhinderte das.
Der tausendste Tag brach an. Er beendete den Essay ›Tausend Tage in einem Ballon‹, mit dem er diesen Tag festhalten wollte. Das amerikanische PEN -Zentrum berief eine Versammlung ein und überreichte den Vereinten Nationen eine Protestnote. Seine britischen Freunde, deren Mahnwache abgesagt worden war, lasen in einem Buchladen in der Charing Cross Road Unterstützerbriefe. Die Zeitung The Independent jedoch, die immer mehr zur Hauspostille des britischen Islam verkam, veröffentlichte einen Artikel von einem ›Schriftsteller‹ namens Ziauddin Sardar, der schrieb: »Mr Rushdie und seine Unterstützer sollten lieber den Mund halten. Eine Fliege im Spinnennetz lenkt keine Aufmerksamkeit auf sich.« Besagte Fliege rief den He rausgeber dieser Zeitung an, um ihm mitzuteilen, dass er künftig keine Rezensionen mehr für ihr Feuilleton schreiben werde.
Am 18. November wurde Terry Waite freigelassen. Jetzt gab es im Libanon keine britischen Geiseln mehr. Wie, fragte er sich, wollten die Behörden ihn nun zum Schweigen bringen? Die Antwort sollte er schon bald erhalten. Am 22. November beschloss George Carey, Erzbischof von Canterbury, das Buch Die satanischen Verse und seinen Autor anzugreifen. Der Roman, so Carey, sei eine ›empörende Beleidigung‹ des Propheten Mohammed. »Wir müssen mehr Verständnis für die Wut der Muslime aufbringen«, verkündete der Erzbischof.
In einem Radiointerview schlug er zurück, und die britische Presse bezog eindeutig gegen den Erzbischof Stellung. Carey gab nach, entschuldigte sich und lud den von ihm Verurteilten zu einer Tasse Tee ein. Also fuhr man den Unsichtbaren zum Lambeth Palace, und da war die spröde Gestalt des Erzbischofs, vor dem Kaminfeuer schlief ein Hund; es gab sogar eine Tasse Tee: eine einzige Tasse und leider keine Gurkensandwiches. Carey stotterte, wirkte unbeholfen und hatte nicht viel zu sagen. Auf die Frage, ob er sich bei Khamenei, von einem Mann Gottes zum anderen, für die Widerrufung der Fatwa einsetzen würde, erwiderte er kleinlaut: »Ich glaube kaum, dass er viel Gewicht auf meine Worte legt.« Zweck dieser Teeparty war einzig Schadensbegrenzung. Sie war bald vorbei.
Es gab Gerüchte, denen zufolge die Briten einen Botschafteraustausch und die Aufnahme vollständiger diplomatischer Beziehungen mit dem Iran vorbereiteten. Er brauchte dringend eine öffentliche Plattform. Der Tag der Veranstaltung an der Columbia University näherte sich, und er fand es immer wichtiger, dass er da sein und seine Stimme gehört werden würde. Allerdings gab es im Libanon noch zwei amerikanische Geiseln, und es war nicht klar, ob man ihm die Einreise in die Vereinigten Staaten gestatten würde. Und wie sollte er hinkommen? Keine Fluggesellschaft wollte ihn an Bord haben. Die Polizei sagte, es gebe zwischen Großbritannien und den USA fast jede Woche Passagierflüge des Militärs. Vielleicht könnte er in einer dieser Maschinen einen Platz bekommen. Noch aber stand nicht fest, ob die Reise überhaupt stattfinden würde.
Duncan Slater rief an, um sich wegen der ›Konfrontation‹ anlässlich der Tausend-Tage-Mahnwache zu entschuldigen, und sagte, in Sachen Botschafteraustausch bestehe ›keine Eile‹. Man versetze ihn auf einen Auslandsposten, fuhr er fort, und David Gore-Booth übernehme seinen Platz als Verbindungsmann zum Außenministerium. Er mochte Slater und hatte sich von ihm unterstützt gefühlt. Gore-Booth war ein ganz anderes Kaliber: finsterer, schroffer und aggressiver.
Joseph Cicippio wurde am 1. Dezember freigelassen; und die letzte amerikanische Geisel, Terry Anderson, kam eine Woche später frei. Die Amerikaner hielten Wort und hoben das Reiseverbot auf. Sein Vortrag in der Low Library konnte stattfinden.
*
Er würde mit einer Maschine der Royal Air Force über den Ozean zum Dulles International Airport in Washington, D. C. fliegen. Eine private Maschine, die, hieß es, dem Vorstandsvorsitzenden von Time Warner gehörte, würde für den Flug nach New York und zurück zur Verfügung stehen. In New York erwartete ihn ein Sicherheitstrupp des New York Police Department. Zu seinem Leidwesen änderten sich die Pläne immer öfter, je näher der Tag der Abreise kam. Aus dem Privatflugzeug von Washington nach Manhattan wurde ein Auto, dann ein Hubschrauber, schließlich wieder ein Flugzeug. Andrew plante ein Essen, bei dem er
Weitere Kostenlose Bücher