Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
Vom Netzwerk:
einflussreiche New Yorker kennenlernen sollte, außerdem ein ›Arts Lunch‹, vermutlich mit Allen Ginsberg, Martin Scorsese, Bob Dylan, Madonna und Robert De Niro, was alles viel zu unrealistisch klang, und das war es auch. Ihm wurde mitgeteilt, dass es ihm nicht gestattet sei, das Hotel außer zur Veranstaltung an der Columbia zu verlassen. Er sei ihm auch nicht gestattet, am Dinner in der Low Library teilzunehmen; er würde seinen Vortrag halten und dann gleich wieder verschwinden. Noch am selben Abend würde man ihn zurück nach Washington fliegen, wo er mit der nächsten RAF -Maschine zurück nach Großbritannien weiterreisen sollte. Weltweit waren die amerikanischen Botschaften in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden; außerdem traf man zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen für den Fall, dass es zu islamischen Vergeltungsmaßnahmen kam, weil man ihn ins Land gelassen hatte. Alle, mit denen er oder Andrew sprach, waren extrem nervös – die RAF , das Verteidigungsministerium, die amerikanische Botschaft, das amerikanische Außenministerium, das britische Außenministerium und das NYPD . Am Telefon sagte er zu Larry Robinson: »Es ist leichter, in den Garten Eden als in die Vereinigten Staaten zu gelangen. Wer ins Paradies will, braucht nur ein guter Mensch zu sein.«
    Als der Tag näherrückte, zögerten die Vereinigten Staaten die Abflugzeit immer weiter hinaus. Doch am Dienstag, den 10. Dezember, dem Tag der internationalen Menschenrechte, einen Tag vor seiner Rede an der Columbia University, bestieg er eine Transportmaschine der RAF und verließ, mit dem Rücken zum Reiseziel, zum ersten Mal in drei Jahren britischen Boden.
    *
    Auf der Landebahn im Teterboro Airport in New Jersey erwartete ihn eine neun Autos umfassende Wagenkolonne mit Motorradeskorte. Sein Auto, der mittlere Wagen, war eine weiße, gepanzerte Stretch limousine. Die große Zahl involvierter NYPD -Beamter unterstand Lieutenant Bob Kennedy; sein Codename für diesen Tag: Commander Hudson. Lieutenant Bob stellte sich vor und erklärte das ›Szenario‹, wurde aber oft unterbrochen und sprach dann in seinen Ärmel. Roger Beobachter Hudson, hier Commander Hudson. Roger. Over and out . Polizisten sprechen heutzutage wie Polizisten im Fernsehen, und es war nicht zu übersehen, dass Lieutenant Bob glaubte, mitten in einem großen Film zu sein. »Wir fahren Sie jetzt in diesem Auto durch die Stadt zu Ihrem Hotel«, sagte er überflüssigerweise, als sich die Kolonne in Bewegung setzte.
    »Lieutenant Bob«, sagte er, »das ist ja ein ziemlich Aufwand. Neun Autos, dazu die Motorräder, die Sirenen, das Blaulicht, die vielen Beamten. Wäre es nicht sicherer, mich auf Schleichwegen in einem gebrauchten Buick in die Stadt zu fahren?«
    Lieutenant Bob musterte ihn mit jenem mitleidigen Blick, den Leute oft für Verrückte oder geistig Minderbemittelte übrighaben. »Nein, Sir, wäre es nicht.«
    »Für wen treiben Sie denn sonst noch solchen Aufwand, Lieutenant Bob?«
    »Das hier, Sir, bieten wir auch für Arafat auf.« Es war ein gelinder Schock, derart mit dem Anführer der palästinensischen Befreiungsorganisation gleichgesetzt zu werden.
    »Wenn ich der Präsident wäre, Lieutenant Bob, was würden Sie da noch zusätzlich machen?«
    »Wenn Sie der Präsident der Vereinigten Staaten wären, Sir, würden wir jede Menge Nebenstraßen sperren und auf den Dächern Scharfschützen postieren, aber in Ihrem Fall hielten wir es für unnötig; das wäre zu auffällig.«
    Mit Blaulicht und Sirenengeheul rollte die Wagenkolonne auf Manhattan zu, ohne die geringste Aufmerksamkeit zu erregen.
    Andrew wartete im Hotel auf ihn. In der Präsidentensuite sicherten kugelsichere Matratzen sämtliche Fensteröffnungen, obwohl sie sich im obersten Sock aufhielten und etwa zwei Dutzend Männer mit gigantischen Science-Fiction-Waffen in den Räumen standen. Andrew hatte zwei Besuche arrangiert. Als Erste kam Susan Sontag, umarmte ihn und erzählte, was das amerikanische PEN -Zentrum für ihn getan hatte und weiterhin tun würde. Dann kam Allen Ginsberg zur einen Tür herein, während Susan zur anderen herausgeführt wurde, so dass die beiden Großen der amerikanischen Literatur sich nicht begegneten. Er fand dies unnötig, doch Andrew meinte, so sei es am besten, man vermeide damit einen möglichen Zusammenprall literarischer Egos. Als Ginsberg mit Sandalen und kleinem Rucksack hereinkam, schaute er sich um, peilte die Lage und sagte bestimmt: »Okay, da müssen wir

Weitere Kostenlose Bücher