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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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dass er nicht länger zu sammenzucken musste, wenn er eine Ausgabe dieses Buches sah. Endlich , dachte er, als das Taschenbuch erschien. Dies ist das richtige Buch, sein Autor ist mein wahres Ich . Die Last fühlte sich weniger beschwerlich an. Er hatte sich vom Zahnarzt Essawy getrennt und dessen manikürte Zehennägel auf immer hinter sich gelassen.
    Liebe Religion,
    kann ich die Frage nach den Grundprinzipien stellen? Denn seltsamerweise oder auch gar nicht so seltsamerweise können sich die Gläubigen und die Ungläubigen nicht darauf einigen, was diese Grundprinzipien eigentlich sind. Für den vernunftbegabten Griechen, der sich mit der Wahrheitsfrage befasste, waren die Grundprinzipien Ausgangspunkte (arche), die wir wahrnehmen können, eben weil wir über Wahrnehmung/Bewusstsein (nous) verfügen. Durch Anwendung reiner Vernunft und im Vertrauen auf unsere Sinneswahrnehmung von der Welt glaubten Descartes und Spinoza, eine Beschreibung der Wahrheit zu erlangen, die wir auch als wahr anerkennen können. Gläubige Denker dagegen – Thomas von Aquin, Ibn Ruschd – behaupteten, die Vernunft existiere außerhalb des menschlichen Bewusstsein, schwebe gleichsam im Raum wie das Nordlicht oder der Asteroidengürtel und warte nur darauf, entdeckt zu werden. Einmal entdeckt, war sie konstant und unveränderlich, galt sie doch als präexistent und brauchte uns nicht, um existieren zu können; es gab sie einfach. Die Vorstellung körperloser, absoluter Vernunft ist starker Tobak, besonders wenn Du, Religion, sie mit der Idee der Offenbarung verknüpfst. Denn dann ist es schließlich mit dem Denken vorbei, nicht? Alles, was bedacht werden muss, wurde offenbart, und das war’s, absolut, auf ewig und ohne Hoffnung auf Widerruf. Gott hilf uns, möchte man da schreien. Ich halte es mit der anderen Liga, mit dem Team, das glaubt, wenn Grundprinzipien dieser Art nicht von Grundprinzipien der anderen Art in Frage gestellt werden können – indem man neue Ausgangspunkte findet, unser Denken und unsere Sinneswahrnehmung auf diese Ausgangspunkte richtet und so zu neuen Schlussfolgerungen gelangt –, dann sind wir erledigt, unser Hirn vermodert, und Männer mit Turbanen und langen Bärten (oder Männer mit langen Gewändern, die vorgeben, zölibatär zu leben, während sie sich an kleinen Jungen vergehen) werden die Erde beerben. In kulturellen Belangen aber, und das mag Dich verwirren, bin ich durchaus kein Relativist und glaube an Universalien. An Menschenrechte zum Beispiel, menschliche Freiheit, an die menschliche Natur, an das, was sie will, was sie verdient. Folglich kann ich Professor S. Huntingtons Überzeugung nicht zustimmen, der zufolge die Vernunft zum Westen und der Obskurantismus zum Osten gehört. Das Herz ist, was es ist, und kennt keine Himmelsrichtungen. Der Drang nach Freiheit ist so universell wie der unvermeidliche Tod. Er mag nicht präexistent sein, schließlich ist er eine Folge unserer essenziellen Menschlichkeit, doch ist Freiheit nicht verhandelbar. Ich verstehe, Religion, dass Dich das verwirren mag, doch bin ich da sehr deutlich. Ich habe mein Nous befragt, und es hielt den Daumen hoch. Ach, und P.S.: Was hat es nur mit diesen pakistanischen Formularen auf sich (den vielen, für jede Kleinigkeit), die verlangen, dass man seine Religion ankreuzt, ein ›Nein‹ als Antwort aber nicht akzeptieren? Ein ›Nein‹ heißt, das Formular ist ungültig, und man muss ein neues ausfüllen oder die Folgen ertragen, die sehr unangenehm sein können. Ich weiß nicht, ob das in anderen muslimischen Ländern auch so ist, nehme es aber an. Findest Du das nicht ein bisschen übertrieben, Religion? Fast schon faschistisch? Was ist das für ein Klub, in dem die Mitgliedschaft zur Pflicht wird? Ich dachte, die besten Klubs sind exklusiv und versuchen, das Gesindel außen vor zu halten.
    Bitte diskutieren!
    Lieber Leser,
    danke für Deine freundlichen Worte über mein Werk. Darf ich die grundlegende Bemerkung machen, dass die Freiheit zu schreiben eng verwandt ist mit der Freiheit zu lesen sowie damit, dass die eigene Lektüre nicht von einer Priesterschar oder empörten Gesellschaft ausgewählt, geprüft und zensiert wird? Seit wann wird ein Werk der Kunst von jenen dazu erklärt, die es nicht mögen? Der Wert der Kunst liegt in der Liebe, die es weckt, nicht im Hass. Die Liebe lässt ein Buch überdauern. Bitte weiterlesen.
    Er fasste einige Neujahrsvorsätze: abnehmen, die Scheidung verlangen, den Roman schreiben, die

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