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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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behauptete, er habe Die satanischen Verse gern gelesen, befand ganz Irland, der Autor müsse in Ordnung sein.
    Am Morgen besuchte er Joyce’ Martello Tower, in dem der gewichtige Buck Mulligan mit Stephen Dedalus gewohnt hatte, und während er die Stufen zum Turmdach hinaufstieg, hatte er wie viele vor ihm den Eindruck, in den Roman einzutreten. Introibo ad altare Dei , murmelte er vor sich hin. Dann ein Mittagessen mit Autoren und dem Dichter und neuen Kultusminister Michael D. Higgins im Abbey Theater, bei dem alle ICH BIN SALMAN RUSHDIE -Buttons trugen. Nach dem Mittagessen machten zwei der anderen Salman Rushdies, Colm Tóibín und Dermot Bolger, mit ihm einen Spaziergang zum Leuchtturm auf Howth Head (die Garda folgte in diskretem Abstand), und der Leuchtturmwärter John ließ ihn das Licht anschalten. Am Sonntag schmuggelte Bono ihn heimlich in eine Bar nach Killiney, und eine halbe Stunde machten ihn die unkontrollierte Freiheit und der unkontrollierte Guinness-Genuss ganz schwindlig. Bei ihrer Rückkehr zum Haus der Hewsons erntete Bono vorwurfsvolle Blicke von der Garda, die es sich allerdings verkniff, ein scharfes Wort an den Liebling der Nation zu richten.
    *
    In The Independent on Sunday gab es Angriffe von rechts und links. Der Prinz von Wales nannte ihn einen schlechten Schreiber, dessen Schutz zu viel koste, derweil der linke Journalist Richard Gott – ein ehemaliger Sowjet-Sympathisant, der den Guardian hatte verlassen müssen, als herauskam, dass er ›rotes Gold‹ genommen hatte – seine politischen Ansichten und seinen ›abgehobenen‹ Stil angriff. Die Wahrheit dessen, was er in ›In gutem Glauben‹ geschrieben hatte, traf ihn wie eine jähe Erleuchtung: Freiheit wurde nicht gegeben, sondern immer nur genommen. Vielleicht sollte er den Polizeischutz zurückweisen und einfach sein Leben leben. Aber konnte er Elizabeth und Zafar in diese gefährliche Zukunft mitnehmen? Wäre das nicht verantwortungslos? Er sollte mit Elizabeth darüber reden, und auch mit Clarissa.
    In Washington wurde ein neuer Präsident ins Amt eingeführt. Christopher Hitchens rief an. »Clinton ist ganz klar auf deiner Seite. So viel ist sicher.« In einem Beitrag für The Nation legte John Leonard dem neuen Präsidenten, der als leidenschaftlicher Leser galt und Hundert Jahre Einsamkeit als sein Lieblingsbuch bezeichnete, Die satanischen Verse ans Herz.
    *
    In den Achtzigern waren die ›Secret Policeman’s Balls‹ Spendenveranstaltungen für Amnesty International gewesen, doch bestimmt hatte man den dort auftretenden Komikern und Musikern nicht gesagt, dass die Geheimpolizei tatsächlich Bälle oder zumindest amtliche Partys veranstaltete. Jeden Winter im Februar nahm das ›A‹- Kom mando die Restaurantetage von New Scotland Yard in Beschlag und wartete mit einer Gästeliste auf, die in London ihresgleichen suchte. Sämtliche ›Kunden‹, die unter Schutz standen oder je gestanden hatten, waren eingeladen, und um den Beamten, die sich um sie gekümmert hatten, ihren Dank zu erweisen, bemühte sich jeder zu kommen. Ehemalige und aktuelle Premierminister, Nordirlandminister, Verteidigungsminister und Außenminister beider Parteien plauderten und becherten mit Schutzbeamten und BBF s. Die Schutzteams durften auch ein paar Freunde und Kollegen ihrer Klienten dazubitten, die sich durch ihre Hilfe besonders hervorgetan hatten. Es wurde eine ziemlich große Sache.
    Sollte er jemals ein Buch über sein Leben schreiben, dachte er damals, würde er es Durch die Hintertüren der Welt nennen. Durch die Vordertür konnte jeder spazieren. Man musste schon jemand sein, um durch die Küchentür, den Bediensteteneingang, das Hoffenster oder die Müllrutsche hereinzukommen. Selbst beim Ball der Geheimpolizei betrat er New Scotland Yard durch die Tiefgarage und wurde in einem abschließbaren Aufzug nach oben gebeamt. Während die an deren Gäste den Haupteingang benutzten, war er der Hintertürenmann. Doch einmal im Peelers Restaurant angekommen, verschmolz er mit der ausgelassenen Menge, deren Fröhlichkeit nicht zuletzt der ausschließlich auf riesige Gläser Scotch oder Gin beschränkten Drinkauswahl geschuldet war, und ›seine‹ Teammitglieder kamen mit einem freudigen »Joe!« auf ihn zu.
    ›Kunden‹ zusammenzubringen, die sich unter normalen Umstän den niemals getroffen hätten, und zu sehen, was passierte, machte den Schutzbeamten besonderen Spaß. Sie manövrierten ihn durch die Menge zu einem gebrechlichen alten

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