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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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und riet ihm, das Gleiche zu tun. Er hätte ihr gern gesagt, dass er wieder einmal mit dem Gedanken an ein Leben ohne das Schreiben spielte und überlegte, wie ruhig, friedlich und vielleicht sogar glücklich so ein Leben sein könnte. Doch er hatte sich vorgenommen, das Buch, an dem er arbeitete, zu beenden. Wenigstens diesen letzten Seufzer.
    Und allmählich kam das Buch voran. In Cochin erlebten Abraham Zogoiby und Aurora da Gama ihre ›Pfefferliebe‹.
    *
    Mitte März gelang es ihm endlich, nach Paris zu fliegen. Als er aus dem Flugzeug stieg, wurde er von den furchteinflößenden RAID -Männern umringt, die ihm mitteilten, er müsse genau – haargenau! – das tun, was sie sagten. In Hochgeschwindigkeit wurde er zur Grande Arche de la Défense gebracht, wo schon Jack Lang, Kulturminister und Nummer zwei der französischen Regierung, und Bernard-Henri Lévy auf ihn warteten, um ihn ins Auditorium zu geleiten. Er bemühte sich, nicht über den gigantischen Sicherheitsaufwand nachzudenken und sich auf das einzigartige Publikum zu konzentrieren, das ihn erwartete und offenbar die gesamte intellektuelle und politische Elite Frankreichs umfasste. (Ausgenommen Mitterrand. In jenen Jahren in Frankreich immer sauf Mitterrand. ) Bernard Kouchner und Nicolas Sarkozy, Alain Finkielkraut und Jorge Semprún, Philippe Sollers und Elie Wiesel saßen in herzlicher Eintracht Schulter an Schulter. Patrice Chéreau, Françoise Giroud, Michel Rocard, Ismail Kadare, Simone Veil – der Saal war riesig.
    »Wir müssen Salman Rushdie heute danken, denn er hat die französische Kultur zusammengeführt«, sagte Jack Lang in seiner Einführung. Er erntete lautes Lachen. Es folgten zwei Stunden intensiver Fragen. Er hoffte, einen guten Eindruck gemacht zu haben, doch blieb ihm keine Zeit, es herauszufinden, denn kaum war die Veranstaltung vorüber, drängte das RAID -Team ihn hinaus und raste mit ihm davon. Sie brachten ihn in die britische Botschaft, denn in Paris war ihm lediglich gestattet, die Nacht auf britischem Territorium zu verbringen. Eine Nacht. Der britische Botschafter Christopher Mallaby hieß ihn freundlich und höflich willkommen. Er kannte sogar einige seiner Bücher, stellte allerdings klar, dass diese Einladung eine einmalige Ausnahme sei. Die Botschaft sei nicht sein Pariser Hotel. Am nächsten Morgen wurde er zum Flughafen gebracht und aus dem Land katapultiert.
    Auf dem Weg zu und von der Botschaft bemerkte er mit Schrecken, dass die Place de la Concorde komplett gesperrt worden war. Polizeibeamte hatten sämtliche Zufahrtsstraßen blockiert, damit er mit seiner RAID -Eskorte ungehindert über den Platz rauschen konnte. Es machte ihn traurig. Er wollte kein Mensch sein, für den die Place de la Concorde gesperrt wurde. Die Eskorte fuhr an einem kleinen Bistro vorbei, und die Kaffeetrinker unter der Markise starrten mit leicht entrüsteter Neugier zu ihm herüber. Ob ich irgendwann auch wieder zu denen gehören werde, die Kaffee trinkend auf dem Gehsteig sitzen und die Welt an sich vorüberziehen lassen? , fragte er sich.
    *
    Das Haus war wunderschön, doch es fühlte sich an wie ein goldener Käfig. Er hatte gelernt, die islamischen Attacken gegen ihn zu ertragen; schließlich war es nicht erstaunlich, dass intolerante Fanatiker sich weiterhin wie intolerante Fanatiker aufführten. Die lauter werdende nicht-muslimische Kritik der Briten und die offenkundige Doppelzüngigkeit des Auswärtigen Amtes und der Regierung John Majors, die das eine versprachen und das andere taten, waren schwerer zu ertragen. Er schrieb einen wutentbrannten Artikel und ließ seinem Zorn und seiner Enttäuschung freien Lauf. Kühlere Köpfe – Elizabeth, Frances, Gillon – rieten ihm von einer Veröffentlichung ab. Rückblickend dachte er, dass es ein Fehler gewesen war, auf sie zu hören. Jedes Mal, wenn er sich in jenen Jahren dazu entschlossen hatte, den Mund zu halten – in dem Jahr zwischen der Fatwaund der Veröffentlichung von ›In gutem Glauben‹ zum Beispiel –, fühlte sich das Schweigen hinterher falsch an.
    Am Montag, dem 22. Februar, erklärte das Büro des Premierministers, John Major sei grundsätzlich zu einem Treffen mit mir bereit, um damit zu demonstrieren, dass die Regierung entschlossen ist, sich für die Meinungsfreiheit einzusetzen und für das Recht ihrer Bürger, nicht von den Schergen einer ausländischen Macht ermordet zu werden. Vor kurzem wurde dann ein Termin für das Gespräch festgesetzt, und prompt

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